Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
ich hoffte, die nächsten vierundzwanzig Stunden in einer vollkommenen Ruhe, nach der ich mich sehnte, zubringen zu können, da wirbelte heute mit dem frühesten mein Bruder, Graf Adam, in mein Zimmer und meine Stille hinein. Auf wie lange, steht dahin. Er sprach anfangs von einem halben Tag nur, aber seine Pläne haben sich rasch geändert. Sehr begreiflich. Er ist eben drüben bei den jungen Damen, was Ihnen genug sagt, und gönnt mir durch diesen seinen Besuch die Muße zu diesen Zeilen an Sie.
Ja, daß ich es Ihnen gestehe, mein lieber Freund, ich bin in Sorgen, in denselben Sorgen, die mich diesen Winter erfüllten und deren äußere Veranlassung Sie so gut kennen wie die tiefere Charakterbegründung. Und dies letztere wiegt am schwersten. Er hat es versäumt, sich zu rechter Zeit seiner Jahre bewußt zu werden, ist der ewig Jugendliche geblieben, unstet und rastlos, und hat zum Überfluß auch noch eine Neigung ausgebildet, gegen all das anzustreben und unter Umständen auch anzustürmen, was er ›Vorurteile des Standes und der Gesellschaft‹ nennt. In ewiger Fehde hab’ ich diese seine Rastlosigkeit bekämpft, und doch fühl’ ich jetzt, daß gerade sie das Korrektiv und der Schutz seines Lebens war, so sehr, daß ich seit kurzem oder doch seit heute vor dem Moment bange, der dieser seiner Rastlosigkeit ein Ende machen und ihn umgekehrt mit einer plötzlichen Sehnsucht nach einem Ruhehafen erfüllen könnte. Denn er wird auch dabei wieder, um das mindeste zu sagen, unherkömmlich verfahren und seinem Tun den Stempel des Aparten und Adoleszenten aufdrücken. Es entspricht das seiner Eitelkeit, von der ich ihn trotz all seiner Vorzüge nicht freisprechen kann. Und alle diese Dinge, fürcht’ ich, sind nahe, sehr nahe. Der Umstand, daß er in dem Momente seiner Rückkehr nach hier eben das vorfand, was er, als er nach Paris ging, zu fliehen gedachte, wird nicht ohne Wirkung auf sein Gemüt und seine Handlungsweise bleiben. Denn er ist abergläubisch und glaubt an Zeichen. Er ist jetzt sicher, daß ihm ein solches Zeichen gegeben wurde.
Schreiben Sie mir, lieber Freund, wie Sie sich persönlich zu dieser Frage stellen, und seien Sie dabei rückhaltlos offen. Ich habe zu lange gelebt und zu viel vom Leben gesehen, um mich schließlich nicht in allem zurechtfinden zu können. Es verwundert mich nichts mehr oder nur weniges noch. Zudem geschieht nur, was geschehen soll, und unerschütterlich bleibt mir der Glaube, daß denen, die Gott lieb hat, alle Dinge zum Besten dienen. Vor allem auch die Prüfungen. Ich verharren lieber Freund, als Ihre herzlich ergebene
Judith von G.«
»Nachschrift. Im Begriff, die vorstehenden Zeiten zu kuvertieren, kommt Ihr Brief, auf den ich mich beeile wenigstens in einer kurzen Nachschrift noch Antwort zu geben. Ich bin ganz Ihrer Meinung, daß für die total verwaiste Gemeinde von Amrathskirchen etwas geschehen muß, um so mehr, als unsere Regierung solcher doch naheliegenden Pflichten sich überhoben glaubt. Es fehlt ihr niemals an Mitteln, wenn es neue Regimenter oder Uniformen, aber immer an Mitteln, wenn es eine Kirche gilt. Und doch ist Österreich auf ihr erwachsen. Felix Austria nube. Gewiß; aber jeder andern Vermählung ging die mit der Kirche voraus. Ich vertraue, daß die Zeiten nahe sind, wo sich die Machthaber dieser Tatsache wieder erinnern werden. Es ist das Verderben unserer Tage, daß wir, losgelöst vom Göttlichen, alles aus unserer Kraft und Weisheit heraus gestalten, alles uns selbst und nicht der ewigen Gnade verdanken wollen. Es gibt keine neue Weisheit, und der ist der Weiseste, der dies weiß und darnach handelt. Ich bitte Sie, fünfhundert Gulden für mich zeichnen und meinen Namen an die Spitze der Liste stellen zu wollen. Mit mehr öffentlich herauszutreten, erscheint mir nicht tunlich, aber es ist mir recht, wenn wir unter der Hand die Summe verdoppeln.
J. v. G.«
Neuntes Kapitel
Phemi war am letzten Tag ihrer nie begonnenen Kur, und zwar unter Zitierung einer gefühlvollen Stelle, von Öslau nach Wien zurückgekehrt, aber das Leben auf der Veranda blieb unverändert dasselbe: Der alte Graf erschien täglich, um seinen Besuch zu machen, und nur die Gräfin zeigte sich wieder etwas zurückhaltender.
Franziska, so sehr sie von Anfang an und mehr noch bei Wiederaufnahme der Bekanntschaft zu der liebenswürdigen alten Dame sich hingezogen gefühlt hatte, nahm nichtsdestoweniger diese Wandlung wie schon die während der Wintermonate leicht und
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