Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
aber, die keine Geschichte haben und in ihrer Kleinheit und Sauberkeit fast aussehen, als wären sie gestern erst aus der Spielschachtel genommen, in ihnen ist die Flagge die Hauptsache, das flatternde Band am Hut, das dem Ganzen erst Ansehen und Charakter gibt.«
»Und wie geht nun das Leben in solcher Flaggenstadt?«
»So heiter wie die Flaggen, die drüber wehen. Ach, mir schlägt das Herz, wenn ich an die Tage zurückdenke, wo wir, Hannah und ich, mit unsern Mappen unterm Arm von der Schule her den Weg nach Hause machten. Es war immer ein weiter Weg und ging am Strom entlang, an dem die Schiffe schräg oder auch wohl mit ihrem Rumpfe nach oben lagen, um sie desto bequemer mit Werg ausstopfen und die Fugen mit Schiffsteer ausgießen zu können. Am Bollwerk hin aber und um geschwärzte, dreibeinige Grapen herum hockten Arbeiter und alte Matrosen und unterhielten das Feuer oder rührten in dem brodelnden Pech, dessen Qualm die Luft erfüllte.«
»Hätte mir’s appetitlicher gewünscht.«
»Auch derlei gab es. Denn nicht überall wurde kalfatert, und viele Schiffe waren da, darauf außer dem Schiffshund nur noch ein Koch und ein Junge die lange Winterwache hielten. Und auch die hantierten um die Mittagsstunde, nach Art der anderen, um ein Uferfeuer her. Aber statt des Grapen waren nur zwei Ziegelsteine da mit einer Bratpfanne darauf, in die jedesmal, wenn wir vorübergingen, eben Kartoffeln und Speck und große Zwiebelstücke hineingeschnitten wurden. Und nun zog der Wrasen davon durch die Luft. Ach, welche Wonne! Vor nichts in meinem Leben hab’ ich je wieder mit so viel Begehrlichkeit gestanden, und die beste Mahlzeit hätt’ ich drum hingegeben, wenn ich mich auf der Stelle bei diesem primitiven Gerichte hätte mit niederhocken und zu Gaste laden können.«
»Glaub’s«, lachte der alte Graf. »Kommt mir doch bei der bloßen Beschreibung ein kleines Gelüst darnach. Aber das ist alles Idyll und Genre; wo bleibt Vineta? Wo bleibt der Schrecken der Elemente?«
»Auch der kam gelegentlich, aber immer erst um die Novemberzeit. Und wir saßen dann, ohne der Gefahr zu gedenken, oder vielleicht auch uns getröstend, daß sie gerade diesmal nicht kommen werde, still um unsern Arbeitstisch her und überlegten, den Griffel oder die Feder aus der Hand legend, was wir uns wohl zum Christfest wünschen sollten, Und wenn wir dann einen Scheffel Wünsche durchberaten hatten, dann hieß es: ›Zu Bett!‹, und wir nahmen die Weihnachtsbilder, wie wir sie von frühester Kindheit an kannten, mit in unsern Traum und sahen die Krippe mit dem Kindlein und den Stern überm Haus. Und auch Joseph und die Jungfrau Maria.«
»Und die Jungfrau Maria«, wiederholte die Gräfin und lächelte. »Aus euren Kirchen habt ihr sie verbannt, aber an eurem Herde lebt sie fort. Oh, sie stirbt nicht aus, die Gebenedeite!«
»Lassen wir die Jungfrau«, sagte der alte Graf, »ich dürste jetzt nach Vineta.«
»Nun denn also, wir nahmen die Bilder mit in unsern Traum und sahen den Himmel offen und die Engelscharen herniedersteigen. Aber mit einem Male gab’s einen unheimlichen Stoß uns zu Häupten, ein Rütteln und Schütteln begann, und wir fuhren aus unserem Kinderschlaf in die Höhe und sahen erschreckt und blaß einander an, denn wir wußten nun, daß der Nordwester doch gekommen sei, derselbe gefürchtete Nordwester, von dem wir gehofft hatten, er werde diesmal wenigstens an uns vorübergehen, und von dem uns die Kindermuhme von Jugend auf erzählt hatte: der könn’ uns wegschwemmen, und eines Tages werd’ er’s auch, denn er sei der eigentliche Herr hier, und wir lebten nur von seiner Gnade, und wenn er wolle, so wär’ es mit uns vorbei. Ja, dann beteten wir, aber wir wußten nicht, was wir sagten, denn wir dachten nicht an Gott und Glauben, sondern bloß an unsere Not und Gefahr, und unsere Seele war nichts als Angst und Aufhorchen auf den Sturm. Oh, noch jetzt überrieselt’s mich, wenn ich an jene Schreckensnächte denke. Die vom First abgerissenen Hohlsteine klinkerten über das Dach hin, in dem Rauchfang ging ein Geheul, alle Läden und Türen klappten oder klapperten, und wenn dann mit eins eine Pause kam, so war es am schlimmsten und zitterten wir am meisten, denn dann hörten wir durch das tiefe Schweigen hin das Gebrause des Meeres draußen, das an die Dünen und Dämme schlug und die großen eingerammten Steine wie Kiesel aus der Westermole wusch. Am Bollwerk aber, trotz der Ziegel und Fahnenstangen, die
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