Delphi sehen und sterben
Konfrontiert mit Einnahmeverlusten, tun sie das meistens.
»Ein junger Mann, der auf Ihre Beschreibung passt, kam her, um hier die Wahrheit zu suchen«, gab er zu.
»Wer kam mit ihm?«
»Niemand.«
»Sind Sie sich ganz sicher?«
»Er durchlief das volle Ritual. Wir behielten ihn für drei Tage in unserer Gemeinschaft. Wir hätten gewusst, wenn jemand mit ihm in Lebadaia gewesen wäre.«
Also kein Phineus oder Polystratus – anscheinend. Tja, das war doch wenigstens was. Doch was auch immer der arme Statianus durchmachte, er hatte es allein ertragen müssen. Ich hätte das nicht geschehen lassen. Große Götter, wenn der junge Narr fest entschlossen gewesen wäre, sich diesen Blödsinn anzutun, hätte ich ihn selbst nach Lebadaia begleitet. Ich hätte zumindest gewartet, um seinen bewusstlosen Körper aufzusammeln und in eine Decke zu hüllen, wenn alles vorbei war.
Der Priester erzählte uns die Geschichte. Statianus war völlig verzweifelt hier aufgetaucht. Daran waren sie gewöhnt. Dieses Orakel war nichts für bloße Neugierige.
Die Tempeldiener hatten ihn beruhigt und ihm sorgfältig erklärt, was er würde tun müssen. Laut ihnen hatten sie ihn mit allen Mitteln davon abhalten wollen, die Sache durchzuziehen. Wenn das stimmte, sorgten die Drecksäcke jetzt dafür, moralisch abgesichert zu sein. Keine Chance auf einen späteren Entschädigungsanspruch bei körperlichen Verletzungen. Es wunderte mich nur, dass sie von den Bewerbern nicht verlangten, eine Verzichterklärung zu unterschreiben.
»Schlagen Sie ihnen vor, ein Testament aufzusetzen?«
»Das ist nicht nötig, Falco!«
Statianus entschied sich weiterzumachen. Also wurde er in einer entsprechenden Unterkunft einquartiert, um sich vorzubereiten – sich intensiv damit zu befassen. In der dritten Nacht wurde er von zwei jungen Akolythen zum Fluss geführt, gebadet, in ein spezielles Gewand mit Bändern und in sehr schwere Stiefel gekleidet und mit Öl gesalbt. Die Priester brachten ihn dann zu der sogenannten Quelle des Vergessens, aus der er trank. Nach der ehrfürchtigen Betrachtung eines geheimen Kultbildes des Trophonios, geschaffen von Daedalos, und einem Gebet (zweifellos darum, dass alles schnell vorbei wäre) wurde Statianus in einer Prozession zum Orakel geführt. Er stieg auf den Erdhügel. Die Falltüren wurden geöffnet, die Leiter gebracht, und er kletterte allein hinunter in die Kammer. Die Leiter wurde entfernt, die schweren Türen knallten über ihm zu.
Er wusste, was er zu tun hatte. Zwischen den Wänden und dem Boden würde er einen Spalt finden, in den er sich hineinquetschen musste, mit den Füßen voran. Vermutlich war er bis dahin gekommen.
»Vermutlich?« Mir schwante nichts Gutes.
»Manchmal passiert etwas«, erwiderte der Priester kalt. Er blieb indirekt, distanzierte sich.
Mir wurde schlecht. »Ist ihm dort etwas zugestoßen?« Ich sah in das Gesicht des Priesters und erriet das Schlimmste. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie haben ihn
verloren?
«
Entsetzt hakte Helena nach. »Tullius Statianus ist aus der Orakelkammer nicht wieder aufgetaucht?« Der Priester bestätigte es schließlich mit einem steifen Nicken. »Er
verschwand?
Dann sagen Sie uns besser«, riet ihm Helena grimmig, »ob Sie die Leiche des armen Mannes inzwischen gefunden haben – und wenn nicht, wo wir nach ihm suchen sollen.«
XLIX
Wir fanden ihn nicht.
Ich merkte, dass die Priester von Anfang an nervös waren. Ihre Planung musste vollkommen schiefgelaufen sein. Nachdem sie sich weigerten, uns mitzuteilen, wie der normale Vorgang ablief, konnten wir nur raten.
Da ich von einer Tragödie überzeugt war, gab ich der Sache sofort einen offiziellen Anstrich. Ich rückte den Priestern zu Leibe und bezog die Stadtältesten mit ein. Wir durchsuchten Lebadaia selbst. Dann wurden Suchtrupps in alle Richtungen ausgesandt – entlang der Hauptstraße nach Chaironaia, einen Pfad hinauf, der über den Berg Helike nach Delphi führte, und auch entlang der berühmten Straße nach Theben. Reiter und junge Männer mit Hunden stellten sich für die Suche zur Verfügung. Wir schlugen auf Felsen und stocherten im Fluss. Er war nirgends.
Als es dunkel wurde, mussten wir unsere Bemühungen einstellen. Die Einheimischen hatten alles getan, was ich von ihnen erwarten konnte. Sie hatten einen ganzen Tag dafür geopfert. Sie wollten ihr Orakel entlasten und zeigten daher Bereitschaft, obwohl wir Fremde und Ausländer waren. Aber als ich am Abend aufgab,
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