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Delphi sehen und sterben

Delphi sehen und sterben

Titel: Delphi sehen und sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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in mein Zimmer zurückkehrte und müde den Kopf in die Hände legte, wusste ich, dass sie nicht mehr tun würden. Wir hatten versagt. Inzwischen war ich mir sicher, dass wir Statianus nie mehr lebend wiedersehen würden – und wir würden vermutlich nicht mal erfahren, ob er tot war.
    Helena war nicht bei mir. Als ich in unser Zimmer zurückgestolpert war, hatte ich sie nicht vorgefunden und angenommen, sie sei ohne mich zum Essen gegangen. Das überraschte mich. Bald trieb mich meine Besorgnis auf die Suche nach dem Dichter. Lampon sagte, sie sei zum Heiligtum zurückgegangen. Sie wollte herausfinden, was wirklich mit den Fragenden in jener Kammer passierte. Sie war überzeugt davon, dass das Orakel durch irgendeinen Trick funktionierte.
    Das war am Nachmittag gewesen.
    Ich überquerte den Fluss und raste zum Orakel. Lampon kam mit, voll schlechten Gewissens, dass er es mir nicht früher erzählt hatte. Ich wünschte, er wäre mit Helena gegangen, doch ich kannte ihre Unabhängigkeit und konnte ihm daher keinen Vorwurf machen.
    Der Hain war schwach von winzigen Lampen erhellt. Der Erdhügel war stärker beleuchtet, als wollte jemand das Orakel in dieser Nacht befragen. Aber niemand war da, nur zwei etwa dreizehnjährige Jungs in gleichartigen weißen Tuniken. Sie spielten ein Würfelspiel, genannt Astragaloi, und hofften darauf, dass sich etwas tat. Einer von ihnen sah mich kommen, erschrak über mein finsteres Gesicht und beschloss, er müsse auf der Stelle nach Hause zu seiner Mutter. Der andere hatte entweder eine schlampige Mutter, die ihn nicht vermissen würde, oder er konnte es nicht ertragen, etwas zu verpassen. Lampon und ich sprachen ihn an. Ich versicherte ihm, er habe nichts zu befürchten, und horchte ihn dann vorsichtig aus.
    Helena Justina war zum Orakel gekommen und hatte dieselben beiden Jungs vorgefunden. Sie setzte sich zu ihnen und freundete sich mit ihnen an. Sie erriet, dass sie die beiden waren, die Fragende für die zeremonielle Waschung zum Fluss führten. Einschmeichelnd hatte sie gefragt, ob sie noch mehr über das Orakel wüssten. Natürlich wussten sie das. Sie wussten, wie die Priester die Sache handhabten.
     
    Ich betrachtete den Jungen, während er erzählte. Helena und ich hatten bereits darüber gesprochen. Von Marinus und Indus hatten wir zahllose Geschichten über »Tempelmagie« gehört. Ägypten war besonders gut in Bauernfängerei, aber Täuschungen geschahen überall. Statuen, die auf unheimliche Weise nickten oder sprachen, zum Beispiel. Tempeltüren, die mysteriös aufschwangen, nachdem Priester Feuer auf Altären entzündet hatten und damit versteckte Eimer voll Wasser oder Quecksilber aktivierten, die wiederum Flaschenzüge in Bewegung setzten. Türen, die sich rätselhaft schlossen, wenn das Feuer gelöscht wurde. Verglichen mit diesen Manövern, wäre es eine Leichtigkeit, einen Mann hereinzulegen, der im dunklen Untergrund eingesperrt war – vor allem in einer Vorrichtung, die speziell zu diesem Zweck gebaut worden war.
    »Ich wette, ich weiß, worauf Helena gekommen ist. Wenn der Eingeweihte unten in der Kammer ist, steigt noch jemand anders hinein?« Der Junge schien verblüfft, dass ich diesen offensichtlichen Trick ebenfalls durchschaut hatte. »Gibt es einen Geheimgang?«
    Mit einem Eifer, der auf schlechtes Gewissen deutete, gab der Junge es zu. Er wusste aus ganz simplen Gründen von dem Gang. »Wenn die Türen geschlossen sind und der Fragende im Dunkeln ist, scheißen sich die meisten voll. Ich bekomme einen Bonus, wenn ich am nächsten Tag reingehe und sauber mache.«
    Dann gestand er zu meinem Entsetzen, dass er und sein Freund Helena gezeigt hatten, wo der Geheimgang war. Sie war hineingekrochen. Sie blieb lange drin. Sie hatten nach ihr gerufen, aber sie kam nicht wieder heraus. Die Jungen wussten, dass Statianus verschwunden war, und hatten zu viel Angst, nachzuforschen. Verängstigt hatten die beiden draußen herumgelungert und gehofft, jemand würde vorbeikommen und die Situation für sie in die Hand nehmen.
    Wie die meisten Jungs in Schwierigkeiten hatte unser Informant nicht gestanden, bis er befragt worden war. Er war sehr erleichtert, mir endlich alles erzählen zu können. Ich war völlig außer mir. Ich befahl ihm, mir sofort den versteckten Eingang zu zeigen. Mein Drängen war ein Fehler. Der Junge sprang auf und floh.
     
    Es gab immer noch einen Weg hinein. Lampon und ich holten uns Lampen. Mit dem zitternden Dichter hinter mir erstieg ich

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