Delphi sehen und sterben
schließen können, dass er durch ihn an mich herankommen könnte.
Ein paar Arbeiter in tristen Tuniken harkten träge den feuchten Sand des Skamma. Woher diese Sklaven auch stammen mochten, sie waren alle untersetzt und von dunkler Hautfarbe. Zwei Fackeln flackerten in eisernen Wandhaltern. Motten hatten sich am Mauerwerk daneben festgekrallt. Der Himmel über dem großen Innenhof war bleich, aber sichtbar. Er wurde allmählich heller, während ein heißer griechischer Tag heraufzog. Alle dämpften instinktiv die Stimme, da der Tag noch zu jung für angeregte Unterhaltungen war.
Auf ein Zeichen von mir schlenderten die Sklaven herbei und umringten uns.
Ich streckte mich, sprach langsam und heiser. »Hasst ihr diese Morgenzeit nicht auch? Nur Geflüster und Gekrächze und die Entdeckung, wer über Nacht gestorben ist … Ich brauche eure Hilfe. Könnt ihr mir erzählen, was los war, als ihr das tote römische Mädchen gefunden habt?«
Wie ich gehofft hatte, waren sie durchaus bereit, Fragen zu beantworten. Die meisten Sklaven unterbrechen nur zu gerne ihre Arbeit, um ein wenig zu schwatzen. Kein Vorgesetzter hatte es für wichtig genug erachtet, ihnen zu befehlen, zu diesem Thema die Klappe zu halten. Hätte der Oberaufseher gewusst, dass ich kommen würde, dann hätte er es getan, wenn auch nur, um mich zu ärgern.
Sie hatten Valeria in einer Ecke gefunden, der Sand um sie herum aufgewühlt, als hätte sie verzweifelt versucht auf Händen und Knien zu entkommen. Sie hatte sich abwehrend zusammengekrümmt, und alles war voller Blut. Blut und Sand verklebten ihre Kleidung; sie war vollkommen bekleidet, was darauf hindeutete, wie die Sklaven meinten, dass gleich zu Anfang ihres Treffens mit dem Mörder irgendwas schiefgelaufen war. Sie hatten bemerkt, dass auf ihrer Kleidung auch Staub war, die Art von Staub, mit der Athleten ihren eingeölten Körper bedecken. Gestern hatte ich gesehen, wie sie ihn auftrugen, ihn mit der offenen Hand über sich warfen, so dass ganze Staubwolken in der Luft des Übungsraums hingen. Der Sand auf Valerias Kleidung war gelb, stets dafür bewundert, dem Körper einen leichten Goldschimmer zu verleihen, was mir allerdings nicht viel weiterhalf. Gelb war die beliebteste Farbe.
Sobald der Oberaufseher informiert worden war, hatte er den Sklaven befohlen, die Leiche rauszuwerfen. Sie hatten sie in die Vorhalle getragen und sie in eine sitzende Stellung gebracht (damit sie lebendiger aussah und nicht so viel Platz einnahm). Sie standen immer noch um sie herum, als Tullius Statianus eingetroffen war.
Er hatte zu schreien begonnen, hatte sich hingehockt, geweint und vor sich hin gestarrt. Der Oberaufseher hatte den Lärm gehört und war aus seinem Verschlag gekommen. Er befahl Statianus, die Leiche zu entfernen. Nachdem Statianus vergeblich um Hilfe gebeten hatte, brüllte er den Oberaufseher wütend an und verfluchte ihn. Dann nahm er seine zerschmetterte junge Frau auf die Arme und stolperte mit ihr zum Lagerplatz.
»Nach dem, was ihr sagt, war Statianus echt betroffen. Benahm sich nicht wie ein Mann, der sie umgebracht hatte?«
»Überhaupt nicht. Er konnte nicht glauben, was passiert war.«
Das war interessant, wenngleich nur unter Zwang gemachte Aussagen von Sklaven vor Gericht verwendbar waren. Ich versuchte ihnen Namen von möglicherweise verdächtigen Palästra-Mitgliedern zu entlocken, aber die Sklaven verloren abrupt das Interesse und wandten sich wieder ihrer Arbeit zu.
Wir hätten gehen sollen. Das tut man nie. Man hofft immer, dass man mit einer letzten, gewieften Frage den Durchbruch schafft. Man lernt es nie.
Dann hörte ich ein Keuchen. Ich drehte mich um, und mein Herz machte einen Satz. Ein riesiger Mann war hereingekommen, ohne dass ich es bemerkt hatte, und hatte sich Cornelius geschnappt. Jetzt würgte er dem Jungen die Luft ab.
XVII
Der riesige Ringer wartete darauf, dass ich mich umdrehte und sah, was passierte. Nun hob der muskelbepackte Kinderzerquetscher meinen Neffen über seinen rasierten Schädel und wollte ihn zu Boden schleudern. Auf hartem, feuchtem Sand konnte das tödlich sein.
Mit höhnischem Grinsen hielt der Brutalo inne.
Er war Mitte zwanzig, auf dem Höhepunkt seiner Kraft. Feste Taille, gewaltige Waden, erstaunliche Oberschenkel, monumentale Schultern. Bis auf eine lederne Schädelkappe und Boxriemen war er vollkommen nackt. Sein großartiger Körper war mit Olivenöl eingeschmiert – so viel, dass ich es riechen konnte – und
Weitere Kostenlose Bücher