Delphi sehen und sterben
ein.«
Helena entschied sich, das buchstäblich zu nehmen. »Erstaunlich. Wählen Sie sie anhand der Größe des Busens oder intelligenter Konversation aus?«
»Anhand annehmbaren Flötenspiels!«, blaffte Megiste.
»Natürlich. Viel besser, wenn ihre vorwitzigen Finger beschäftigt sind.« Nachdem sie ihre spitzesten Pfeile verschossen hatte, wandte sich Helena wieder dem Eigentlichen zu. »Also – da wir so
völlig
unerwartet aus Olympia abtransportiert werden, meine liebe Megiste, muss ich mich dringend um das Packen kümmern. Sagen Sie mir bitte, was Sie über Valeria Ventidia zu berichten haben.« Megiste musste zu mir herübergeschaut haben. »Ach, lassen Sie ihn bleiben. Ich ehre die römische Tradition«, prahlte Helena. »Mein Mann und ich haben
keine
Geheimnisse voreinander.«
»Wie ungemein ermüdend für Sie«, zahlte Megiste es ihr heim.
Da sie möglichst umfassende Informationen erhalten wollte, kapitulierte Helena und senkte verschwörerisch die Stimme. »Nun ja, er erzählt mir alles, wie ein guter Junge – während ich ihm nur das anvertraue, was ich ihn wissen lassen will … Marcus, Liebling, du hängst da rum wie bestellt und nicht abgeholt. Mach doch mal einen Spaziergang mit deinem Hund.«
Ich war ein traditioneller Römer. Als Mann war ich König, Oberpriester und sämtliche Götter in meinem eigenen Haushalt. Andererseits, wenn meine Frau sprach, nahm ich den Wink an. Ich pfiff nach Nux, mir meine Sandalen zu bringen, und wir machten uns auf, den Kronoshügel zu erforschen.
Helena Justina war in der Tat eine traditionelle römische Ehefrau. Später teilte sie mir nicht nur mit, was sie von Megiste erfahren hatte, sondern auch ihre eigenen Gedanken dazu.
Im Heiligtum war der Tod einer jungen Frau als eine Angelegenheit für den Rat der Sechzehn betrachtet worden. Als Valeria Ventidia ermordet wurde, hatten die unerschütterlichen Damen Nachforschungen angestellt. Sie entdeckten, dass die junge Braut eine unkluge »Freundschaft« mit einem Mann eingegangen war. Er war ein Athlet, ein Pankrationsieger von der letzten Olympiade, der in der Hoffnung vor Ort geblieben war, Förderer zu finden. Er hatte die Erlaubnis erhalten, eine Statue von sich unter den Hunderten zu errichten, die das Heiligtum schmückten, doch er konnte sie sich nicht leisten. Sein Heimatort war nicht in der Lage, das Geld aufzubringen, und so hoffte er auf finanzielle Unterstützung bewundernder Sportbegeisterter. Die Sieben-Stätten-Gruppe – reiche römische Reisende, alle verliebt in das griechische Ideal – hatte wie mögliche Patrone ausgesehen. Irgendwie war es ihm gelungen, Valerias Aufmerksamkeit zu erregen, und er versuchte sie zu bezirzen, ihren Mann und möglicherweise andere zu überreden, ihn zu fördern.
Seltsamerweise hatten die Parzen dafür gesorgt, dass dieser fragliche Sportheld kein anderer war als Milon von Dodona. Sein Angriff auf Cornelius, hatte Megiste gesagt, deutete auf seinen Hang zu grundloser Gewalttätigkeit hin.
Die Damen neigten dazu, den Athleten von niederträchtigen Motiven beim Anbandeln mit Valeria zu entlasten. Sie nahmen jedoch hin, dass die Beziehung ohne anfängliche Absicht eine hässliche Wendung genommen hatte. Valeria war selbst leichtsinnig und dumm gewesen. Die Damen vermuteten, dass der Athlet sie getötet hatte – konnten es aber nicht beweisen.
Das war eine neue Wendung der Ereignisse. Ich war begierig darauf, Milon zu verhören. Doch wiederum hatte seltsamerweise eine griechische Laune des Schicksals das verhindert. Megiste teilte Helena bedauernd mit, dass Milon, obwohl er in den besten Händen gewesen war, an diesem Nachmittag, während er im Tempel der Hera behandelt wurde, gestorben sei. Ihm war ein beruhigender Schlaftrank – von erprobtem, traditionellem Ursprung – verabreicht worden, der zu helfen schien. Aber er wachte nicht mehr auf.
Das war für uns doppelt beklagenswert. Es
sah aus,
als wäre Milon an den Verletzungen gestorben, die ihm der junge Glaucus mit dem Diskus zugefügt hatte. Gehirnerschütterungen verlaufen manchmal eigentümlich. Wie Megiste Helena klargemacht hatte, lag es jetzt noch mehr in unserem Interesse, Olympia rasch zu verlassen.
Zuschauer waren gelegentlich von einem fliegenden Diskus getroffen worden und für gewöhnlich sofort gestorben. Aber Milon von Dodona war kräftig und gesund. Als wir sahen, wie er vom Schwimmbecken fortgetragen wurde, hatte er gestöhnt, aber er war wach gewesen und hätte
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