Delphi sehen und sterben
Tod wusste.«
Mich ergriff tiefste Frustration. »Und was war das? Was hätte mir Milon verraten können? War er der wirkliche Mörder? Wenn nicht, wusste er, wer es war?«
Helena und ich waren uns jetzt über eines sicher: Milon von Dodona war zum Schweigen gebracht worden. Das schreckliche Weibsbild des eleischen Rates der Sechzehn hatte ihn aus dem Rennen geworfen.
Was meine Wanderung auf den Kronoshügel angeht, die war die reinste Zeitverschwendung gewesen, wie erwartet. Nun war ich mit dem Anvertrauen dran – ich beschrieb sie Helena. Ich war hinaufgegangen, hatte mich umgeschaut, nichts gefunden und war sehr erschöpft wieder hinuntergetappt. Jetzt mussten wir Olympia ohne wirkliche neue Beweise verlassen, sowohl für den Mord an Valeria Ventidia als auch für den mysteriösen Tod von Marcella Caesia drei Jahre zuvor.
Ich wies meine Gruppe an, fertig gepackt und bereit zu sein, sobald der nimmermüde olympische Hahn sein erstes Krähen des Tages ausstieß. Sie waren alle sehr gedämpfter Stimmung, besonders der junge Glaucus. Als wollte er für seinen Anteil am Tod von Milon Buße tun, kam er mit einem Gegenstand zu mir, den wir mitnehmen würden, unserem einzigen greifbaren Beweis – einem Sprunggewicht.
»Ich habe den Flötisten Myron überredet, es aus dem Verschlag des Oberaufsehers zu stehlen. Seit Valeria ermordet wurde, lag es da auf einem Regal.«
Für ein Gewicht war es bemerkenswert. Im Gegensatz zu den im Stil viel schlichteren, die Glaucus mir gezeigt hatte, war dieses aus Bronze gearbeitet, in Form eines angreifenden wilden Ebers, voller Eigenart. Ein einfacher Stab bildete den Handgriff. Bei Benutzung würde sich der gebogene Körper des Ebers über die Fingerknöchel wölben. Der scharfe Rand des Rückgrats würde das Gewicht doppelt gefährlich machen, wenn man damit auf jemanden einschlug.
»Wurde das hier blutbeschmiert gefunden?«
»Wir glauben schon, allerdings ist es gesäubert worden. An der Wand hatten zwei gehangen. Das andere ist seit dem Angriff nicht mehr gesehen worden.«
»Mag sein, dass der Mörder es mitgenommen hat. Manche wollen eine Trophäe behalten …« Ich fuhr mit dem Finger über das gewölbte Rückgrat des Ebers und ließ meinen Satz unbeendet.
Glaucus erschauerte. Ich wickelte den Eber in einen Ersatzumhang und verstaute ihn in meinem Gepäck.
Ich weigerte mich, entführt zu werden. Ich würde mich nicht widerspruchslos auf das Schiff begeben, das Megiste angefordert hatte, und mich dorthin bringen lassen, wohin sie mich schickte – vermutlich direkt zurück nach Rom. Stattdessen würden wir unsere eigenen Esel satteln und uns nach Pyrgos aufmachen, dann über Land nach Patrai am Südufer des Golfs von Korinth, wo wir ein Schiff
meiner
Wahl nehmen würden, um den Provinzstatthalter aufzusuchen.
Die ehrbaren Damen konnten mich mal. Ich hatte meine Anweisung von Claudius Laeta aus dem Palast. Normalerweise missachtete ich offizielle Anweisungen. Diesmal würde ich mich daran halten.
Unsere Unabhängigkeit verärgerte anscheinend die Obrigkeiten des Heiligtums. Hoffentlich. Auf jeden Fall verärgerte sie den allmächtigen Zeus. An diesem Abend bemerkten wir hin und wieder ein Wetterleuchten, als ginge weit draußen über dem Ionischen Meer ein Gewitter nieder. Allmählich verstärkte es sich. Als die Dunkelheit anbrach, wurden sämtliche Hügel um uns herum von immer rascher aufeinanderfolgenden Blitzen erhellt. Die mit Fichtenduft geschwängerte Luft wurde schwer. Inmitten des wilden und unheimlichen Flackerns nahmen wir ein bescheidenes Abendessen zu uns, waren verschwitzt und streitsüchtig. Uns wurde nur allzu deutlich, warum dieser abgelegene Ort die Alten zu der Behauptung angeregt hatte, Zeus beherrsche das Gebiet. Näher und näher kam das Gewitter, bis nach einem leichten Tröpfeln plötzlich riesige Regentropfen herabklatschten. Der schwere Regenfall dauerte die ganze Nacht an, während Olympia stundenlang von Donner widerhallte, bis diejenigen unter uns, die an Gottheiten glaubten, davon überzeugt sein mussten, dass unsere Anwesenheit die allwissenden Götter erzürnt hatte.
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TEIL DREI
KORINTH
»Oben auf Akrokorinth befindet sich ein Tempel der Aphrodite. Die Quelle, die hinter dem Tempel ist, soll ein Geschenk des Asops sein, das er dem Sisyphos machte. Ich habe auch Leute gehört, die behaupten, diese Quelle sei die Peirene und das Wasser unten in der Stadt fließe unterirdisch von hier aus hinab …«
Pausanias,
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