Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
sehr großen Hang, sich mitzuteilen. Der Grog brachte eine so wunderbare Wirkung hervor, daß er die verborgensten Geheimnisse seiner Brust offenbarte. Nachdem er viel von sich, seiner Familie, seinen Verbindungen, seinen Freunden, seinen Erholungen, seinen Geschäften und seinen Brüdern (gesprächige Leute haben immer viel von ihren Brüdern zu reden) erzählt hatte, nahm er Herrn Pickwick mehrere Minuten lang durch seine gefärbten Brillengläser in blauen Augenschein, und fragte dann mit bescheidener Miene.
»Und warum denken Sie wohl – warum denken Sie wohl, Herr, Pickwick – daß ich hierher gereist bin?«
»Auf mein Wort«, erwiderte Herr Pickwick, »ich kann unmöglich raten. Geschäfte halber vielleicht?«
»Zum Teil getroffen, Sir«, versetzte Herr Peter Magnus; »zum Teil aber auch fehlgeschossen. Raten Sie noch einmal, Herr Pickwick.«
»Da muß ich mich Ihnen auf Gnade und Ungnade ergeben, ob Sie’s mir sagen wollen oder nicht, wie Sie es für gut halten: denn erraten kann ich es nicht, und wenn ich die ganze Nacht darüber nachdächte.«
»Nun denn, hihihi!« sagte Herr Peter Magnus mit verschämtem Kichern, »was würden Sie denken, Herr Pickwick, wenn ich hierhergekommen wäre, um einen Heiratsantrag zu machen? hihihi.«
»Was ich denken würde? Je nun, daß Sie höchstwahrscheinlich damit Erfolg haben werden«, erwiderte Herr Pickwick mit dem freundlichsten Lächeln.
»Ach«, sagte Herr Magnus, »denken Sie das wirklich, Herr Pickwick? Meinen Sie das?«
»Sicher«, antwortete Herr Pickwick.
»Nicht doch, Sie scherzen.«
»Nein, gewiß nicht.«
»Nun denn«, sagte Herr Magnus; »um Ihnen ein kleines Geheimnis zu entdecken – ich glaube es auch. Auch will ich’s Ihnen verraten, Herr Pickwick, obwohl ich von Natur fürchterlich eifersüchtig bin – die Dame ist hier im Hause.«
Damit nahm Herr Magnus seine Brille ab, um zu blinzeln, und setzte sie dann wieder auf.
»Das war es also, warum Sie vor dem Essen so oft aus dem Zimmer liefen?« fragte Herr Pickwick neckisch.
»Pst – ja, Sie haben recht; das war’s. Doch war ich nicht blind verliebt genug, um mich ihr zu zeigen.«
»Nicht?«
»Nein; Sie wissen, das geht nicht, wenn man eben erst von der Reise kommt; will warten bis morgen, Sir – dann habe ich noch einmal so gute Aussichten. In diesem Reisesack, Herr Pickwick, befindet sich ein Anzug, und in diesem Futteral ein Hut, wovon ich mir einen außerordentlichen Eindruck verspreche.«
»Wirklich?« fragte Herr Pickwick.
»Ja; Sie müssen bemerkt haben, wie ich heute so besorgt darum war. Ich glaube, daß ein solcher Anzug und ein solcher Hut nirgends sonst für Geld zu haben ist, Herr Pickwick.«
Herr Pickwick wünschte dem beglückten Eigentümer der unwiderstehlichen Kleidungsstücke zu ihrer Erwerbung Glück, und Herr Peter Magnus versank auf einige Augenblicke in tiefes Nachsinnen.
»Es ist ein hübsches Geschöpf«, sagte Herr Magnus.
»Wirklich?« fragte Herr Pickwick.
»Sehr hübsch«, erwiderte Herr Magnus, »sehr hübsch. Sie wohnt ungefähr 20 Meilen von hier, Herr Pickwick. Ich erfuhr, daß sie heute abend und morgen noch den ganzen Vormittag hier bleiben wird, und nun bin ich hergereist, um diese günstige Gelegenheit zu benutzen. Meiner Ansicht nach ist ein Gasthof ein sehr geeigneter Platz, um einem ledigen Frauenzimmer einen Antrag zu machen. Auf der Reise wird ihr die Verlassenheit ihrer Lage fühlbarer, als wenn sie zu Hause ist. Was halten Sie davon, Herr Pickwick?«
»Ich halte das für sehr gut möglich«, versetzte der Angeredete.
»Verzeihung, Herr Pickwick«, sagte Herr Peter Magnus, »aber ich bin von Natur etwas neugierig; was mag Sie hierhergeführt haben?«
»Ein weit weniger angenehmes Geschäft«, erwiderte Herr Pickwick, dem bei der Erinnerung das Blut in die Wangen stieg – »ich bin hierhergekommen, Sir, um die Verräterei und Falschheit einer Person zu entlarven, in deren Ehre und Treue ich unbegrenztes Vertrauen gesetzt habe.«
»Ach, um Gottes willen«, sagte Herr Peter Magnus, »das ist sehr unangenehm. Es ist vermutlich eine Dame? Nicht wahr? Ach, schlau, Herr Pickwick, schlau. Doch, Herr Pickwick, ich möchte Ihren Gefühlen um alles in der Welt nicht zu nahe treten. Schmerzlich so was, Sir, sehr schmerzlich. Scheuen Sie sich nicht, Herr Pickwick, wenn Sie Ihren Gefühlen Luft zu machen wünschen. Ich weiß, was es heißt, in der Liebe getäuscht zu werden, Sir; ich selbst habe schon drei- oder viermal solche Erfahrung
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