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Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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konnte unmöglich dem dringenden Verlangen widerstehen, zu beobachten, was nun weiter vor sich gehen sollte. Herrn Pickwicks Kopf zeigte sich also wieder zwischen den Vorhängen. Der Anblick, der sich ihm darbot, war noch entsetzlicher als vorher. Die Dame von mittlerem Alter hatte ihr übriges Haar zurechtgebürstet, sorgfältig in eine musselinene, mit schmalen, gefalteten Spitzen besetzte Schlafhaube verhüllt, und sah gedankenvoll ins Feuer.
    »Die Sache fängt an, bedenklich zu werden«, überlegte Herr Pickwick bei sich selbst. »So kann es nicht fortgehen. Die Unbefangenheit dieser Dame ist mir ein klarer Beweis, daß ich ins falsche Zimmer geraten sein muß. Wenn ich sie anrufe, so bringt sie das ganze Haus in Aufruhr, und wenn ich ruhig bleibe, so können die Folgen noch fürchterlicher sein.«
    Es ist durchaus nicht nötig, zu bemerken, daß Herr Pickwick einer von den bescheidensten und zartfühlendsten Sterblichen war. Der bloße Gedanke, seine Nachtmütze einer Dame zu zeigen, erfüllte ihn mit Schauder, aber er hatte die verdammten Bänder in einen Knoten zusammengezogen, den er um alle Welt nicht aufzulösen vermochte. Und doch mußte er sich entdecken. Es stand ihm nur noch ein Ausweg zu Gebote. Er zog sich hinter die Vorhänge zurück, und gab die Laute von sich –
    »Ha – Hm!«
    Daß die Dame bei diesen unerwarteten Tönen außerordentlich erschrak, war offenbar, denn sie stolperte gegen den Lichtschirm, und daß sie sich überredete, es müsse nur Einbildung gewesen sein, war ebenfalls klar, denn als Herr Pickwick, den die voraussichtliche Ohnmacht der Dame beinahe versteinert hatte, wieder hinauszuspähen wagte, blickte sie wie zuvor nachdenklich ins Feuer.
    »Ein recht resolutes Frauenzimmer das«, dachte Herr Pickwick und hustete wieder: »ha – hm.«
    Die letzteren Töne, die denen so sehr glichen, wodurch der wilde Riese Blunderbore, nach der Erzählung des Märchens, gewöhnlich seine Ansicht ausdrückte, daß es Zeit sei, den Tisch zu decken, waren zu deutlich, um noch einmal als Wirkungen der Einbildungskraft zu gelten.
    »Gott sei mir gnädig!« rief die Dame von mittlerem Alter; »was ist das?«
    »Es ist – es ist – nur ein Herr, Madame«, sagte Herr Pickwick hinter den Vorhängen.
    »Ein Herr!« rief die Dame, mit einem furchtbaren Entsetzensschrei.
    »Jetzt ist’s aus«, dachte Herr Pickwick.
    »Eine fremde Mannsperson!« schrie die Dame.
    Noch einen Augenblick, und das Haus kam in Aufruhr. Ihre Kleider rauschten, als sie der Tür zueilte.
    »Madame«, – rief Herr Pickwick, seinen Kopf hervorstreckend, in der äußersten Verzweiflung. »Madame.«
    Obgleich Herr Pickwick keinen bestimmten Zweck dabei hatte, als er den Kopf hinausstreckte, so brachte er dadurch doch augenblicklich eine gute Wirkung hervor. Wie wir bereits gemeldet haben, war die Dame nahe an der Tür. Sie mußte sie passieren, um die Treppe zu erreichen, und würde sie zweifelsohne bereits erreicht haben, hätte sie nicht die plötzliche Erscheinung von Herrn Pickwicks Nachtmütze in die entfernteste Ecke des Zimmers zurückgetrieben, von wo aus sie wilde Blicke auf Herrn Pickwick schoß, die von Herrn Pickwick seinerseits erwidert wurden.
    »Elender!« – sagte die Dame, die Hand vor die Augen haltend, »was suchen Sie hier?«
    »Nichts, Madame – durchaus nichts, Madame«, antwortete Herr Pickwick ernsthaft.
    »Nichts?« rief die Dame, die Augen aufschlagend.
    »Nichts, Madame, auf meine Ehre«, versicherte Herr Pickwick, mit so nachdrücklichem Kopfschütteln, daß die Troddel seiner Nachtmütze hin und her tanzte. »Ich sinke vor Scham, eine Dame in meiner Nachtmütze anzureden (hier riß die Dame ihre Schlafmütze hastig herunter) beinahe in die Erde, aber ich kann den Knoten nicht lösen, Madame (hier zog Herr Pickwick, zum Beweis für seine Behauptung, mit furchtbarer Gewalt an den Bändern). Es ist mir jetzt klar, Madame, daß ich in das falsche Zimmer geraten bin. Ich war noch nicht fünf Minuten hier, als Sie plötzlich eintraten.«
    »Wenn diese unwahrscheinliche Geschichte wirklich wahr sein soll« – sagte die Dame unter heftigem Schluchzen, »so werden Sie sich augenblicklich entfernen.«
    »Mit dem größten Vergnügen, Madame« – erwiderte Herr Pickwick.
    »Augenblicklich, Sir«, wiederholte die Dame.
    »Gewiß, Madame«, fiel Herr Pickwick eiligst ein. »Gewiß, Madame. Ich – ich – bin untröstlich, Madame«, sagte Herr Pickwick, indem er sich unten am Bettgestell zeigte, »die

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