Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
ihn.«
»Ach, das ist freilich sonderbar«, bemerkte Sam. »Auf mich würde es einen starken Eindruck machen, wenn ich an seiner Stelle wäre, das weiß ich.«
»Die Sache ist die, mein junger Freund«, sagte Herr Stiggins mit feierlichem Tone, »er hat ein verhärtetes Herz. O, mein junger Freund, wer hätte den inständigen Bitten von sechzehn unserer schönsten Schwestern widerstehen können? Wer hätte ihren Ermahnungen sein Ohr verschlossen, unserer trefflichen Gesellschaft beizutreten, die Negerkinder in Westindien mit Flanelljacken und moralischen Taschentüchern versieht?«
»Was ist denn ein moralisches Taschentuch?« fragte Sam. »Ich habe noch nie solche Ware gesehen.«
»Taschentücher, die das Vergnügen mit der Belehrung verbinden, mein junger Freund«, erwiderte Herr Stiggins. »Es sind auserlesene Erzählungen mit Holzschnitten darauf gedruckt.«
»Ach, ich erinnere mich«, sagte Sam; »sie hängen in den Leinwandläden mit Betteleien und anderm dergleichen Zeug darauf.«
Herr Stiggins machte sich an eine dritte Butterschnitte und nickte beifällig.
»Und er wollte sich von den Damen nicht dazu bewegen lassen?« fragte Sam.
»Saß da und rauchte seine Pfeife und sagte, die Negerkinder wären – was, sagte er, was die Negerkinder seien?« sprach Frau Weller.
»Quatsch«, erwiderte Herr Stiggins höchst entrüstet.
»Sagte, die Negerkinder wären Quatsch«, wiederholte Frau Weller.
Und beide seufzten über das gottlose Benehmen des ältern Herrn Samuel.
Es wären noch eine Menge anderer Ruchlosigkeiten ähnlicher Art an den Tag gekommen. Aber da die Buttertoaste alle verspeist waren, der Tee immer schwächer wurde und da Sam nicht im geringsten Miene machte, sich zu entfernen, so erinnerte sich Herr Stiggins plötzlich daran, daß er eine höchst dringende Angelegenheit mit dem Hirten zu besprechen habe, und verabschiedete sich.
Kaum war das Teegeschirr abgetragen und der Herd ausgewaschen, als die Londoner Postkutsche Herrn Weller senior vors Haus brachte, seine Beine ihn in das Schenkstübchen trugen und seine Augen ihm seinen Sohn zeigten.
»Was, Sammy?« rief der Vater.
»Was, alter Adam!« rief der Sohn, und sie schüttelten sich herzlich die Hände.
»Freut mich sehr, dich zu sehen, Sammy«, sagte der ältere Herr Weller; »obschon es ein Geheimnis für mich ist, wie du es angefangen, deine Stiefmutter für dich einzunehmen. Ich wünschte nur, du schriebest mir das Rezept auf: das wär’ mir das liebste.«
»Pst«, machte Sam, »sie ist zu Hause, Alter.«
»Sie hört nichts«, versetzte Herr Weller. »Nach dem Tee geht sie allemal und läuft sich ein paar Stunden lang auf dem Hausflur außer Atem, und so können wir uns mittlerweile etwas anfeuchten, Sammy.«
Sprach’s, mischte zwei Gläser Branntwein und Wasser und holte ein paar Pfeifen. Vater und Sohn setzten sich einander gegenüber, Sam auf der einen Seite des Kamins in den Stuhl mit der hohen Lehne, und Herr Weller senior auf der andern in einen gleichen von derselben Bequemlichkeit, und so hatten sie gegenseitig an einander ihre Freude – natürlich aber in den Schranken der gebührenden Würde.
»Jemand hier gewesen, Sammy?« fragte Herr Weller senior trocken, nach einem langen Stillschweigen.
Sam bejahte die Frage mit einem bedeutungsvollen Kopfnicken.
»Der rotnasige Kerl?« fragte Herr Weller.
Sam nickte wieder.
»Ein liebenswürdiger Mann das, Sammy«, bemerkte Herr Weller heftig rauchend.
»Scheint so«, antwortete Sam.
»Viel Talent fürs Rechnungswesen«, sagte Herr Weller.
»So?« fragte Sam.
»Borgt am Montag achtzehn Pence, verlangt am Dienstag einen Schilling, um die halbe Krone vollzumachen, will am Mittwoch noch eine halbe Krone, daß es fünf Schilling ausmacht, und so doppelt er fort, bis er eine Fünfpfundnote hat, ehe man sich’s versieht: als ob er ein Hexenrechenbuch hätte, Sammy.«
Sam nickte.
»Ihr wolltet Euch also für die Flanelljacken nicht unterschreiben?« fragte Sam nach einer Pause, während man sich beiderseits mit Rauchen die Zeit vertrieb.
»Nein, wirklich nicht«, erwiderte Herr Weller. »Was sollen die jungen Neger mit Flanelljacken. Aber ich will dir was sagen, Sammy«, fuhr Herr Weller fort, indem er seine Stimme dämpfte und sich über den Kamin herüberbeugte, »gegen Zwangsjacken für gewisse Leute in unserm Lande hätte ich gar nichts einzuwenden.«
Bei diesen Worten versetzte sich Herr Weller langsam wieder in seine frühere Stellung und gab seinem Erstgeborenen
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