Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
langsam die Tür und enthüllt die wahre Lage der Dinge nicht eher, als bis der Unglückliche auf dem Tritt steht. »Wo denn?« fragt der in die Falle Gegangene und will sich wieder zurückziehen. »Auf beiden Seiten, Sir«, erwidert der Cad, schiebt ihn hinein, wirft den Schlag zu und ruft: »Alles gut, Bill!« Entrinnen ist außer Frage; der Neuangekommene taumelt umher, bis er irgendwo niederfällt und zu einer Art von Ruhe gelangt.
Da wir regelmäßig ein wenig vor zehn Uhr in die City fahren, so treffen wir stets mit vier oder fünf bestimmten Personen zusammen. Sie steigen immer an ein und derselben Straßenecke ein und sitzen gewöhnlich auf denselben Plätzen; sie sind stets auf dieselbe Weise gekleidet und sprechen ohne Ausnahme über dieselben Gegenstände – die zunehmende Schnelligkeit der Kabrioletts und die Nichtachtung moralischer Verbindlichkeiten, die von den Omnibusbesitzern und deren Leuten bewiesen wird. Gleich am Schlage rechter Hand sitzt Tag für Tag, die Hände auf die Spitze seines Regenschirms gestützt, ein kleiner, wunderlicher alter Mann mit gepudertem Kopf. Er ist äußerst ungeduldig und wählt seinen Platz in der Absicht, ein scharfes Auge auf den Cad zu haben, mit dem er sich vielfach zu unterhalten pflegt. Er ist sehr dienstfertig, Leuten herein- und hinauszuhelfen, und stößt, von freien Stücken den Cad mit seinem Regenschirm an, wenn jemand auszusteigen wünscht. Er empfiehlt den Damen regelmäßig, ihre sechs Pence bereitzuhalten, um Verzögerung zu vermeiden, und läßt jemand ein Fenster nieder, das er erreichen kann, so zieht er es augenblicklich wieder in die Höhe.
»Worauf wollen Sie denn warten?« fragt der kleine alte Mann jeden Morgen den Cad schon beim geringsten Anzeichen, daß an der Ecke der Regentstraße angehalten werden soll. »Worauf wollen Sie denn warten?«
Der Cad pfeift und stellt sich, als ob er die Frage nicht gehört hätte. Der kleine Alte stößt ihn mit seinem Schirm an und fährt fort: »Hören Sie nicht? Worauf wollen Sie warten?« »Auf Passagiere.«
»Das weiß ich, aber es kann Ihnen ja hier gar nichts helfen; also worauf warten Sie?«
»Ja, Sir, das ist ‘ne etwas schwierige Frage. Ich glaube, wir warten, weil wir lieber warten als weiterfahren.«
»So so!« ruft der kleine Mann mit großer Heftigkeit aus. »Schon gut. Ich belange Sie morgen. Hab’ oft damit gedroht, werd’s jetzt aber ausführen.«
»Danke schön, Sir«, erwiderte der Cad, mit einer spöttisch dankbaren Miene den Hut berührend. »Bin Ihnen verbunden, Sir.«
Die jungen Leute im Omnibus lachen laut auf, und der alte Herr wird sehr rot im Gesicht und scheint höchlich erzürnt zu sein. Der starke Herr mit dem weißen Halstuch im anderen Ende des Omnibus blickt sehr prophetisch und erklärt, es müsse gegen die Halunken bald etwas geschehen, oder man könne gar nicht sagen, wie das alles noch enden werde; und der schäbig elegante Herr mit dem grünen Beutel drückt seine vollkommene Beistimmung aus, wie er es regelmäßig jeden Morgen seit sechs Monaten getan hat.
Jetzt kommt ein zweiter Omnibus heran und hält unmittelbar hinter uns. Ein anderer alter Herr hebt seinen Spazierstock empor und läuft aus Leibeskräften auf unsern Omnibus zu; wir sehen ihm mit großer Teilnahme zu; der Schlag wird für ihn geöffnet und er ist plötzlich verschwunden – im Oppositions-Omnibus, der ihn weggekapert hat. Der Oppositions-Cad verhöhnt obendrein den unsrigen und rühmt sich, ihm »den alten Burschen vor der Nase wegstibitzt zu haben«, und man hört deutlich die Stimme des gegen seine gesetzwidrige Freiheitsberaubung vergeblich protestierenden »alten Burschen«. Wir fahren weiter, der andere Omnibus fährt hinter uns her, und sooft wir stillhalten, um einen Passagier mitzunehmen, hält er auch still, um gleichfalls danach zu fahnden; bisweilen bekommen wir ihn, bisweilen die Gegenpartei: wer ihn aber nicht bekommt, sagt, daß er ihn hätte haben müssen, und die Cads schimpfen daher heftig aufeinander. Wenn wir in Lincolns-Inn-Fields, Bedford-Row und anderen juristischen Bezirken anlangen, steigen sehr viele unserer ursprünglichen Mitpassagiere aus, wogegen wir andere mitnehmen, die einen äußerst kühlen Empfang haben; denn sonderbar genug sehen die in einem Omnibus schon einige Zeit gefahrenen Passagiere die neuen Ankömmlinge stets mit Mienen an, als ob bei ihnen der Gedanke im Hintergrund läge, daß diese im Fuhrwerk nichts zu tun hätten. Der kleine, alte Mann hegt
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