Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
als später«, fügt der Mann mit den halbversengten Unaussprechlichen so ruhig und vergnügt hinzu, als wenn die ganze Welt um fünf Uhr das Bett verließe. Du gehst und trägst dich auf dem Heimweg mit dem Gedanken, in welchem Maße die Menschen durch Gewohnheiten in der Grausamkeit verhärtet werden können.
Wenn es in natura rerum ein Ungemach gibt, das noch schauderhafter ist als das andere, so ist es ganz ohne Frage die Notwendigkeit, bei Licht aufstehen zu müssen. Hast du Zweifel daran gehegt, so wirst du des Irrtums am Morgen deiner Abreise schmerzlich innewerden. Du erteiltest vor Schlafengehen strengen Befehl, daß man dich um halb fünf Uhr wecken solle, hast in der ganzen Nacht nicht länger als fünf Minuten ununterbrochenen Schlafs genossen, und jeder Glockenschlag hat dich aus bösen Träumen aufgeweckt. Endlich, wenn du vollkommen erschöpft bist, stellt sieh allmählich ein erquickender Schlummer ein – deine Gedanken werden verwirrt – die Postkutschen, die in der ganzen Nacht fortwährend vor deinen Augen abgingen, werden immer undeutlicher und verschwinden zuletzt gänzlich: im einen Augenblick fährst du selbst gleich dem geschicktesten Kutscher – im anderen gibst du Reiterkunststücke a la Ducrow auf dem linken Vorderpferde zum besten – wieder in einem anderen sitzt du behaglich eingehüllt in der Kutsche und hast soeben in dem Kondukteur einen alten Schulkameraden erkannt, dessen Begräbnis du, wie du dich selbst im Traum erinnerst, vor achtzehn Jahren beigewohnt hast. Sodann tritt der Zustand gänzlicher Vergessenheit bei dir ein, aus dem du sonderbarerweise in eine neue wunderliche Illusion fällst. Du bist Lehrling bei einem Koffermacher – gleichviel wie es zugeht – und eifrig mit dem Verkleben eines Koffers beschäftigt. O dieser verwünschte Gehilfe in der anderen Abteilung der Werkstatt! Wie er hämmert! Er ist auch gar zu fleißig und emsig! Du hast ihn schon seit einer halben Stunde gehört, und er hat während der ganzen Zeit unaufhörlich den Hammer geführt. Und nun ruft er gar! Was sagt er? Fünf Uhr! Du machst eine Gewaltanstrengung und raffst dich im Bette empor, als wenn du die Zeltszene im Richard III. probiertest. Die Täuschung hat augenblicklich ein Ende; der Koffermacherladen ist dein eigenes Schlafzimmer, und der Gehilfe dein fröstelnder Diener, der sich eine Viertelstunde lang auf die offenbare Gefahr, dir die Tür oder sich selbst die Knöchel einzuschlagen, vergeblich bemüht hat, dich aufzuwecken. Du kleidest dich in möglichster Eile an. Das flackernde Licht mit dem langen, verkohlten Dochte verbreitet gerade so viel Helligkeit, um dich erkennen zu lassen, daß alles, was du eben brauchst, nicht da zu finden ist, wo es sein sollte, und du erfährst einigen Aufenthalt, indem du inne wirst, daß du im Wirrwarr des gestrigen Abends einen deiner Stiefel sorgfältig mit eingepackt hast. Du kommst indes mit deiner Toilette noch bald genug zustande, denn du bist bei einer solchen Gelegenheit nicht umständlich und hast dich im voraus rasiert; wirfst dich in deinen Reiserock, knüpfst den grünen Reiseschal um, nimmst deinen Reisesack in die Hand, schleichst leise hinunter, um keine Störung zu verursachen, trittst auf einen Augenblick in das Familienzimmer (das äußerst komfortabel aussieht, in dem nichts an der rechten Stelle steht oder liegt und noch vielfache Spuren des Abendessens zu erblicken sind), trinkst hastig eine Tasse Kaffee, riegelst die Haustür auf, und stehst endlich auf der Straße.
Bei allem, was jammervoll ist, Tauwetter! Keine Spur mehr vom Froste. Du blickst die lange Oxfordstraße hinunter: die Gaslichter werfen einen traurigen Schein auf das nasse Pflaster, und du vermagst keinen dunklen Fleck zu entdecken, der dich hoffen ließe, eines Kabrioletts oder einer Mietskutsche habhaft zu werden – sogar die Mietskutscher sind verzweiflungsvoll nach Hause gefahren. Der kalte, mit Schnee vermischte Regen fällt mit der lieblichen Regelmäßigkeit, die eine wenigstens vierundzwanzigstündige Dauer bedeutet, der Nebel hängt über den Hausgiebeln und Lampenpfählen und hüllt dich gleich einem unsichtbaren Mantel ein. Das Wasser fließt in alle Höfe hinein – die Röhren sind geborsten – die Wassertonnen laufen über – die Straßenrinnen scheinen Zeitwettläufe anzustellen – Brunnenschwengel gehen von selbst nieder – Pferde vor Marktkarren stürzen und niemand hilft ihnen wieder auf – die Polizeidiener sehen aus, als wenn sie
Weitere Kostenlose Bücher