Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
umherzuschauen. Aufwärter mit Weinkörben in den Händen stellen in sehr ehrerbietigen Entfernungen Weinflaschen auf den Tisch. In weiten Zwischenräumen gewahren wir melancholisch aussehende Salzfässer und altersschwache Essigfläschchen, die einst sehr wohl den Eltern der armen Waisen angehört haben können. Die Messer und Gabeln sehen aus, als wenn sie bei allen öffentlichen Diners in London seit Georgs des Ersten Regierungsantritt Dienste geleistet hätten. Die Spielleute stimmen ihre Instrumente, probieren, präludieren und kratzen jammervoll, und mancher Herr läuft wie besessen an den Tischen auf und nieder, und sein Gesicht wird länger und immer länger, je länger es währt, ehe er seine Karte oder ein unbelegtes Kuvert findet.
Wir drehen uns um nach dem Tische hinter uns, und sind – da wir noch wenigen öffentlichen Diners beigewohnt haben – von dem sich uns darbietenden Anblicke einigermaßen betroffen. Wir erblicken nämlich mehrere Herren, unter denen ein kleiner Mann mit einem langen, ziemlich geröteten Gesicht und grauen, über der Stirn kerzengerade emporstehenden Haaren in besonderem Ansehen zu stehen scheint. Er trägt einen Streifen schwarzen Seidenzeugs ohne steifende Binde statt eines Halstuchs, und die Umstehenden reden ihn vertraulich »Fitz« an. Neben ihm steht ein dicker Mann mit einem weißen Halstuch und ledergelber Weste, glänzendem schwarzem, sehr kurz abgeschnittenem Haar und einem großen, runden, Gesundheit strahlenden Antlitz; um seinen Mund spielt fortwährend ein geziertes und halb sentimentales Lächeln. Zu ihren Freunden oder Bekannten gehören offenbar noch drei bis vier andere Herren, von denen der eine ein Männchen mit einem runden Gesicht, modischer Halsschleife und blauer Unterweste, ein zweiter ein Mann mit einem großen Kopf, schwarzem Haar und starkem Knebelbart ist. Ihr Aussehen und Benehmen deutet ohne Zweifel auf etwas Absonderliches hin, obgleich wir kaum imstande sein möchten anzugeben, worin es bestände; allein wir können uns von dem Gedanken nicht losmachen, daß sie zu einem andern Zwecke, als nur zum Essen und Trinken erschienen sein müssen. Wir haben jedoch nicht Zeit, der Sache genauer nachzuforschen, denn die Aufwärter ziehen sich von den Tischen nach dem unteren Ende des Saals zurück. Der schwärzliche Mann im blauen Rock mit glänzenden Knöpfen, der die Musik dirigiert, gibt seinen Leuten das Zeichen zum Anfangen, die Gäste erheben sich, und herein schreiten vierzehn Festordner, von denen ein, jeder, gleich dem bösen Geist in einer Pantomime, einen langen Stab in der Hand trägt; dann folgen der Vorsitzer und die vornehmen Gäste. Sie eilen so schnell sie können im Saal hinauf und verbeugen sich und schmunzeln und bemühen sich, unendlich liebenswürdig und leutselig auszusehen. Das Beifallrufen ist vorüber, das Tischgebet gesprochen, das Geklapper mit den Tellern und Löffeln beginnt, und alle scheinen äußerst erfreut zu sein:, über die Anwesenheit so ausgezeichneter Gäste oder den Anfang des lange ersehnten Mahls.
Bei dem Diner selbst geht es zu wie bei jedem anderen Diner. Suppenschalen werden mit erschrecklicher Schnelligkeit geleert – Aufwärter nehmen Teller mit Steinbutt weg, um Soße dazu zu holen, und bringen Teller mit Soße ohne Fisch zurück; Leute, die sich auf das Vorschneiden verstehen, sind große Toren, wenn sie es laut werden lassen; und Leute, die sich nicht darauf verstehen, zeigen kein Verlangen, es zu lernen. Die Messer und Gabeln bilden eine angenehme Begleitung zu Aubers Musik, und Aubers Musik würde eine angenehme Begleitung zum Diner abgeben, wenn man außer den Becken nur etwas davon hören könnte. Die inhaltsreichen Schüsseln verschwinden – die Schalen mit Eingemachtem werden geleert wie der Blitz – tüchtige Esser wischen sich die Stirnen – Leute, die bis jetzt äußerst verdrießlich ausgesehen haben, werden über die Maßen zutraulich und fordern uns so freundschaftlich als möglich zum Weintrinken mit ihnen auf – alte Herren machen uns auf die Damengalerie aufmerksam und geben sich große Mühe, uns einzuprägen, daß der Wohltätigkeitsverein durch die Damen stets ganz besonders begünstigt wird, jedermann scheint gesprächig werden zu wollen – laut und allgemein ertönt das Gesumm der Unterhaltung.
Sobald das Geräusch aufhört, erhebt sich der Toastmaster.
»Meine Herren, belieben Sie Ihre Gläser zu füllen.«
Sobald es geschehen ist, fährt er in regelmäßig aufsteigender
Weitere Kostenlose Bücher