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Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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ausfindig, dem nur der erste Beamte nachsteht – und so nimmt das Toastausbringen, Loben und Danken seinen Fortgang, indem nur noch die Gesundheit der »anwesenden Gönnerinnen« ausgezeichnet zu werden verdient. Die Herren blicken entsetzlich lärmend nach der Galerie hinauf, und kleine geschniegelte Herren, die mehr Wein als gewöhnlich getrunken haben, werfen den Damen Handküsse zu und verdrehen die Gesichter auf das trübseligste, in der Meinung, zu charmieren; worauf die Gesellschaft sich endlich trennt und heimbegibt.
    Doch genug und nur noch die Bemerkung, daß die Leser nicht glauben dürfen, wir wollen mißgünstig spotten, weil wir aus dem Spaßhaften der öffentlichen Diners Belustigung schöpfen. Nichts weniger. Wir sind weit entfernt, den Wert der wohltätigen Vereine und Anstalten, worin London so reich ist, zu verkennen, oder die edeln Gesinnungen und achtbaren Beweggründe der Mehrzahl ihrer Teilnehmer und Unterstützer in Abrede zu stellen.

Charaktere
    Gedanken über Leute und Leutchen
    Es ist merkwürdig, wie gänzlich unbeachtet man leben und sterben kann in London. Wirklich gibt es Unzählige in der großen Hauptstadt, die keinerlei Sympathie auch nur in eines einzigen Brust erwecken; an deren Dasein niemand ein Interesse nimmt, außer ihnen selbst; von denen sich nicht sagen läßt, sie würden vergessen nach ihrem Tode, weil bei ihrem Leben keine Seele an sie gedacht hat; die nicht einen einzigen Freund besitzen, und um die sich niemand, wirklich gar niemand kümmert. Gebieterische Notwendigkeit zwang sie, nach London zu gehen, um Beschäftigung und die Mittel zu ihrem Lebensunterhalt zu suchen. Es ist schmerzlich, die Bande zu zerreißen, die uns mit unserer Heimat und unsern Angehörigen und Freunden verbinden, und noch schmerzlicher, die tausend Erinnerungen glücklicher Tage und alter Zeiten aufzugeben, die jahrelang in unserm Innern schlummerten und nur erwachen, um uns die Gestalten der Lieben und Teuren, als wenn sie lebten, die Umgebungen, in denen wir uns mit ihnen bewegten und die wir wahrscheinlich nie wieder sehen sollen, Freud und Leid, das uns mit ihnen traf, und die Hoffnungen vor die Seele zurückzuführen, bei denen uns einst das Herz so hoch und freudig schlug und die wir wohl für immer hinter uns lassen müssen. Doch die Leute, von denen wir reden, haben zu ihrem eigenen Glück Gedanken dieser Art längst vergessen; die alten Freunde sind gestorben oder ausgewandert, ehemalige Korrespondenten haben sich in dem geschäftigen Citygedränge verloren, und sie selbst sind durch Zeit und Gewohnheit vollkommen passiv und teilnahmslos geworden.
    Wir saßen eines Tags innerhalb der Umfriedung eines Teils des St.-James-Parks, als ein Mann unsere Aufmerksamkeit erregte, den wir sogleich dieser Klasse zuzählen zu müssen glaubten. Er war groß, hager und blaß und trug einen schwarzen Rock, knapp anschließende graue Beinkleider, kurze Gamaschen und braune, lederne Handschuhe. Er hatte einen Regenschirm in der Hand – nicht zum Gebrauch, denn das Wetter war schön, sondern offenbar, weil er ihn jeden Morgen ins Büro mitnahm. Er ging vor dem kleinen Rasenplatze, auf dem die zu vermietenden Stühle stehen, auf und ab, nicht, als wenn er es zum Vergnügen oder zur Erholung, sondern aus Notwendigkeit täte – geradeso wie er jeden Wochentag von Islington zu seinem Geschäftszimmer wandert. Es war ein Montag – der Ostermontag. Er war auf vierundzwanzig Stunden der Fronarbeit des Schreibtisches entronnen und machte einen Spaziergang, der Bewegung und frischen Luft, des Vergnügens wegen – vielleicht zum ersten Male in seinem Leben. Wir waren geneigt zu glauben, daß er noch nie einen Feiertag gehabt hatte und eigentlich noch immer nicht wußte, was er mit sich und seiner Zeit anfangen solle. Auf dem Grasplan spielten Kinder, hier und da erblickte man kleine plaudernde und lachende Gruppen – er aber ging fortwährend, achtlos und unbeachtet, auf und ab, und sein schmales und blasses Gesicht sah aus, als wenn es des Ausdrucks der Neugier oder Teilnahme unfähig wäre. In seiner Haltung, seinem ganzen Wesen lag ein Etwas, das uns, wie wir uns einbildeten, sein ganzes Leben oder vielmehr seinen ganzen Tag erzählte; denn ein Mann dieser Art kennt keine Abwechslung. Es war uns fast, als wenn wir das dumpfige Hinterstübchen vor uns sähen, in dem er jeden Morgen erscheint, den Hut an denselben Pflock hängt und die Beine unter demselben Schreibtisch ausstreckt, nachdem er den schwarzen

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