Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
kommen, der ihm tatsächlich beim Studium von verschiedenen größeren Rollen mit Rat und Tat an die Hand gegangen ist.
Grimaldi studierte den Orson mit großem Eifer und gab ihn zum ersten Male am 10. Oktober 1806. Farley spielte den Valentin. Das Stück behauptete sich auf dem Repertoir bis Weihnachten, wo es der Weihnachts-Pantomime das Feld räumen mußte.
Der Orson war nach Grimaldis Meinung seine allerschwierigste Rolle. Es kamen in ihr die mannigfachsten Leidenschaften zum Ausdruck und zwar mit so raschem Wechsel, daß ein ungewöhnlicher Aufwand körperlicher und geistiger Anstrengung dabei notwendig war. Er gab den Orson oft, in London sowohl als in den Provinzstädten, allein die Folgen der Überanstrengung, die sie mit sich brachte, blieben immer die gleichen. Kaum war der Vorhang gefallen, so wankte er von der Bühne in einen kleinen Raum hinter der Souffleurloge, sank in einen Sessel und konnte kaum seiner Empfindungen Herr werden. Er weinte und schluchzte wie ein Kind und verfiel in der Regel in so heftige Krämpfe, daß er selbst diejenigen, die ihn schon öfter in solchem Zustande hochgradiger Nervosität gesehen, ihre Zweifel hatten, ob er auch im zweiten Aufzuge würde spielen können. Indessen fand er immer die notwendige Kraft dazu wieder. Immer wußte er sich, sobald sein Stichwort fiel, ganz zu bezwingen, immer siegte die Macht der Routine über die körperliche Schwäche.
Mit seinem Orson erzielte er großen und nachhaltigen Effekt. In dieser Rolle zeigte er sich dem Publikum von einer ganz neuen Seite. Sein Künstlerruf steigerte sich durch sie ganz bedeutend. Daß er wirklich bedeutend darin war, bezeugen die Urteile und Gratulationen, die ihm von berühmten Darstellern, Kritikern und Kennern zuteil wurden.
In diese Zeit fallen die Proben zu der Pantomime »Die Gans«, die eine ganz unerhörte Berühmtheit erlangen sollte.
Der Direktion des Drury-Lane-Theaters war es bekannt geworden, daß in Covent-Garden am 26. Dezember eine neue Harlekinade auf die Bühne gebracht werden sollte; sie fürchtete den Vorteil, den das andere Theater durch das Engagement Grimaldis gewonnen, und betrieb daher die Vorbereitungen zu ihrer Pantomime mit großem Eifer. Sie engagierte Montgomery, der es durch Vorstellungen im Zirkus zu einigem Renommee gebracht, für ein hohes Salär als Clown und erreichte es, daß ihre Pantomime schon am 23. zur erstmaligen Aufführung kam. Sie war jedoch mehr Spektakelstück, und so gut auch die Dekorationen sein mochten, so war doch die Handlung selbst so unbedeutend, so erbärmlich, daß das Auditorium gar bald zu zischen anfing und endlich solchen Lärm machte, daß die Regie es für geraten hielt, noch lange vor dem Schlusse des Stückes den Vorhang fallen zu lassen.
Grimaldi war mit seinem Freunde Bologna im Theater, und keiner von beiden war über diese Vorgänge sonderlich mißgestimmt. Das Drury-Lane-Theater war mit seinen Vorstellungen bislang immer glücklicher gewesen als Covent-Garden, und es dürfte nicht unwahrscheinlich sein, daß die Direktion von der Absicht geleitet wurde, sowohl die Pantomime selbst imandern Theater unmöglich zu machen, als auch Grimaldi selbst außer Kurs zu setzen.
Am 25. wurde in Covent-Garden eine Nachtprobe abgehalten. Die Darsteller waren in großer Ungewißheit über das Schicksal der »Mutter Gans«. Es war immer Brauch gewesen, bei Pantomimen den größten Glanz aufzubieten, und so hatten es sich Direktion wie Darsteller besonders in dem letzten Akte immer angelegen sein lassen, das beste zu bieten und die besten Kräfte einzusetzen, weil es die ganze Bevölkerung der Hauptstadt sich angewöhnt hatte, wochenlang darüber zu diskutieren, welche Pantomime mit dem schönsten Schlusse ausgestattet gewesen. Nun war aber »Mutter Gans« sehr nüchtern gehalten, von Prunk so gut wie nichts aufgewandt, auch im letzten Akte nicht, und darum war man über die Aufnahme der Pantomime in recht großer Sorge. Sogar der Harlekin hatte sich alles Flitterstaats enthalten sollen, wovon jedoch Grimaldi so entschieden abgeraten hatte, daß man ihn bezüglich des Kostüms letzter Stunde noch freie Hand gelassen hatte.
Man hatte jedoch geirrt. »Mutter Gans« wurde mit seltenem Jubel aufgenommen, auch bis zum Schlusse der Saison ohne Unterbrechung zweiundneunzig Abende unter ständig wachsendem Beifall und bei fast immer überfülltem Hause gegeben. Dies war ein abermaliges Beispiel für das unrichtige Urteil von Schauspielern in derartigen Fragen.
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