Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
häufig, aber sie kehrten doch von Zeit zu Zeit immer wieder. Eine finstere und kalte Isolierung, die nur auf sich selbst vertraute, seltsam verbunden mit einer fast weiblichen Empfänglichkeit und einem leidenschaftsvollen Bedürfnis nach Sympathie. In solchen Momenten schien es, als seien seine angeborenen Impulse für alles Edle und Freundliche vorübergehend unterdrückt durch den harten und unerbittlichen Nachklang seines Jugendschicksals.
Für diese gemischten Empfindungen fand der Dichter eben in seinem Hause nicht die ersehnte Befriedigung, und von Jahr zu Jahr wurde ihm solch Mangel fühlbarer, zumal es ihm nicht gelang, in dem Ersatz zu finden, was man Gesellschaft nennt. Niemand war geeigneter als er, jedem Zirkel Ehre zu machen, in den er hätte eintreten wollen, aber er vermied es vielmehr, er gab sich fast ebensoviel Mühe, den Häusern der Großen fernzubleiben, als sich andere bemühten, dort Zugang zu finden. »Zum Teil bestimmte ihn dazu die Verachtung gegen das in England so häufige Laster der Kriecherei gegen Vornehme. Aber außer diesem Motiv spielte noch ein anderes mit, das er sich nicht so vollständig eingestand: er war sehr empfindlich gegen die sozialen Ungleichheiten, aus denen jenes Laster hervorgegangen ist. Immer stand das Gespenst seiner Kindheit hinter ihm. Er war von einer starken Empfindlichkeit für Lob und Tadel, aber es war sein Stolz, diese Empfindung zu verhehlen und gleichgültig zu scheinen; er hatte eine ungeheure Höhe erstiegen, aber diese Erinnerung war ihm eher bitter als süß, denn vor ihm stand eine Schranke, hinter der ihm die vornehme Welt zwar Beifall rief, aber doch von oben herunter: er verachtete die Schranke und wußte doch, daß er sie nicht übersteigen konnte. In Augenblicken, wo dies Gefühl mächtig über ihn wurde, konnte er im Ausdruck hart und intolerant erscheinen. Seine schlimme Kindheit hatte ihm den unermeßlichen Wert eines eisernen Kampfes gegen Schwierigkeiten gelehrt, aber die Fähigkeit, der Entsagung und des Opfers hatte sie ihm nicht gegeben. In dem Sprung aus einer dunkeln Existenz in eine weltberühmte war er Meister von allen Gaben, durch die man etwas erreicht, aber nicht Meister über sich selbst. Trotz der Ordnung und Regelmäßigkeit in seinem Tun, trotz seinem Sinn für Häuslichkeit, hatte er etwas von dem Ungestüm überkräftiger Naturen, die nach aller Existenz greifen, ohne die Kosten zu erwägen, und denen es ebenso unmöglich ist, sich in das einmal Fertige, zu finden, als einer Schwierigkeit zu weichen.«
Hatte sich früher, etwa bis zur Beendigung des Copperfield, seine innere Unruhe mehr darin gezeigt, daß er mit Vorliebe seinen Aufenthaltsort wechselte, so trat jetzt auch darin eine Veränderung ein. Die Erfindung sprudelte nicht mehr so leicht als früher hervor, was er schon bei der Beendigung von Bleak House gemerkt hatte, wo er diesem Mangel durch allerhand bis dahin verschmähte Mittel, wie Notizen und ähnliches, abzuhelfen suchte. Oft hatte er das beängstigende Gefühl, daß es ihm nicht gelingen werde, den weitausgespannten Rahmen seiner neuen Entwürfe genügend mit lebendigen Gestalten auszufüllen; dann wurde er ungeduldig, warf seine Arbeiten beiseite und stürzte sich mit Gier in Beschäftigungen, die außerhalb seines Talentes lagen, in Journalistik oder politische Agitationen. In dieser Stimmung wurde es ihm immer schwerer, zu entbehren; er sprach in Andeutungen von einer »so glücklichen und doch so unglücklichen Existenz«, und brach in die herzbewegliche Klage aus: »Wie seltsam es auch sein mag, niemals Ruhe, niemals Befriedigung zu finden, immer nach etwas zu suchen, was nie erreicht wird, sich immer mit Plänen, Entwürfen und Sorgen zu beladen, so ist es mir doch klar, daß es so sein muß, daß ich von einer unwiderstehlichen Macht getrieben werde, bis mein Tagewerk zu Ende ist. Für manche Menschen gibt es keine Ruhe.«
Später, im Frühherbst 1857, erwiderte er auf ernste Hinwendungen seines Freundes Forster folgendes: »Es ist zu spät zu sagen: Lege den Zaum an und stürme nicht die Berge hinauf! Du sagst es dem unrechten Manne. Meine einzige Befreiung liegt jetzt im Handeln. Ruhe ist mir unmöglich geworden. Ich bin vollkommen überzeugt, daß ich rosten, brechen und sterben würde, wenn ich mich schonte. Viel besser, tätig zu sterben. Zu dem, was ich auf diese Weise bin, schuf mich erst die Natur, und meine jüngste Lebensweise hat es leider bekräftigt. Ich muß den Nachteil – da es
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