Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
zu suchen und zu finden. Von gleicher Wichtigkeit waren die Werke Hogarths für ihn, dessen Bilder noch bis in die letzte Zeit hinein stets aufgeschlagen auf seinem Tische lagen: diesem großen Zeichner hat er die Effekte abgelernt, Tugenden zu empfehlen und Laster zu geißeln.
Wenn er aber dieselben Wirkungen, die Hogarth durch seine Stiche erreichte, durch Worte erzielte, so beweist dies eine königliche Gewalt über die Sprache, die nicht durch Erziehung zu erlangen ist, sondern angeboren sein muß. Der unermeßliche Wortschatz des Englischen war ihm bis auf die kleinste Münze tributpflichtig; für jeden Begriff, jede Stimmung hatte er den bezeichnendsten Ausdruck in der passendsten Nüance zur Hand. Darin kann er nicht genug bewundert werden, denn jede Skizze, jeder Roman zeigt seine Meisterschaft, in Worten zu malen.
Mit Copperfield erreichte er die Höhe seines Ruhmes und er hat diesen Roman nie wieder überboten. Die Popularität, die dieses Werk von Anfang an errang, wuchs in einem Maße, wie bei keinem vorhergehenden Buche, mit Ausnahme Pickwicks . »Sie erfreuen mich mehr, als ich sagen kann«, schrieb er im Juli 1850 an Bulwer Lytton, »durch das, was Sie über Copperfield sagen, weil ich selbst hoffe, daß einige bisher fehlende Eigenschaften darin zum Vorschein gekommen sind.« Zwar kann Bleak House , was die Kunst und Kraft der Darstellung betrifft, mit Copperfield wetteifern, aber es liegt eine gewisse Mißstimmung darüber, die nicht allein vom Gegenstande ausgeht, und ihren Schatten auch auf die Seele des Dichters wirft. Besonders deutlich wird dies an jener Stelle, die wie ein Blitzlicht einen Vorgang erleuchtet, ich meine die Stelle, wo die kleine Miß Flite, die als eines der Opfer in dem großen Prozeß »Jarndyce und Jarndyee« halb blödsinnig geworden ist, in einem Gespräche gelegentlich die Frage tut: Ich denke, in England nehmen ausgezeichnete und verdiente Leute eine angesehene Stellung ein? – und Dickens hinzusetzt: »Bisweilen war die gute Dame wirklich völlig verrückt.«
Was muß da nicht alles in einer Seele vorgegangen sein, die solcher Empfindung fähig sein konnte! Was berechtigte den Dichter zu einem solchen Ausruf, ihn, der so unerhört glänzende Erfolge zu verzeichnen gehabt hat, wie kaum jemals ein Dichter? Seine Lebensgeschichte gibt auch hierüber wieder einige Winke. Forster macht auf die bekannte Stelle im Copperfield aufmerksam, wo Dickens schreibt, daß bei aller wirklichen Liebe zu Dora doch auf Copperfields Seele das unbestimmte Gefühl eines unglücklichen Verlustes gelastet habe oder von irgend etwas anderem, das ihm fehle. Dora ist, wie gesagt, nicht das Porträt von der Gattin des Dichters, aber die hier geschilderte Empfindung ist eine Dickenssche Empfindung.
Aber dies allein mag es nicht gewesen sein. »Denken Sie einmal an das«, schreibt er noch im Jahre 1862 an seinen Freund, »was ich Ihnen von meiner Kindheit erzählt hatte, und fragen Sie sich selbst, ob es nicht natürlich ist, daß etwas an dem Charakter, der sich damals bildete und in glücklicheren Tagen zu verschwinden schien, in den letzten fünf Jahren wieder auftauchte. Das nimmer zu vergessende Elend jener früheren Tage rief, verknüpft mit dem Bilde eines schlecht gekleideten und schlecht genährten Kindes, eine ängstliche Empfindung hervor, die in dem nimmer zu vergessenden Elend dieser letzten Tage wiederkehrt.« Vier Jahre vor diesem Briefe (1858) hatte sich Dickens von seiner Frau getrennt. Forster macht über diese Erklärung einige sehr eingehende Bemerkungen. Von den Eindrücken, die in ihm die Demütigung seiner Kindheit zurückließ, war am stärksten die Furcht vor einem möglichen neuen Elend, das ihm aufgespart sein könnte, verbunden mit dem leidenschaftlichen Entschluß, mit den Umständen und Zufällen des Lebens einen Krieg bis aufs Messer zu führen. Dieser Entschluß hatte ihn stark gemacht, aber die beständige Anspannung all seiner Kräfte, diese ruhelose Energie, die keinen Widerstand litt, hatte auch manchen Übelstand im Gefolge. Oft war er in Gesellschaft unbehaglich, scheu, von übertriebener Empfindlichkeit, und dann hatte er das wieder zu bekämpfen. Ein zu hochgesteigertes Selbstgefühl, der Glaube an eine Kraft in ihm, der alles möglich sei, reizte ihn, sich Lasten aufzubürden, denen auf die Dauer auch die stärksten Schultern nicht gewachsen waren. In solchen Entschlüssen konnte er zuweilen hart, strenge und heftig sein; solche Augenblicke waren nicht
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