Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
Bedeutung verloren, die sie früher vor allen Dingen in seinem Leben gehabt hatten, und in sich selbst besaß er nicht die Hilfsquellen, die man bei einem Manne wie ihn hätte erwarten mögen, wenn man ihn von der Oberfläche aus beurteilte. Nicht nur sein Genie, sondern seine ganze Natur war allzu ausschließlich aus der Sympathie für das Wirkliche in seiner intensivsten Gestalt zusammengesetzt, um gegen die Mängel der ihn umgebenden Wirklichkeiten hinreichend gerüstet zu sein. Es gab für ihn keine »Stadt des Geistes« zu innerem Schutz und Trost gegen alle äußeren Übel.
Von da an verbohrte er sich immer tiefer in den Gedanken, daß etwas geschehen müsse ! Immer lautere Aufregungen suchte er und fand doch keine Befriedigung darin, immer wieder suchte er in und aus dem Wirklichen noch die Freiheit und Befriedigung eines Ideals, und eben durch seine Versuche, der Welt zu entrinnen, sah er sich immer nur wieder in ihr Gedränge zurückgetrieben. Aber was er dort hätte suchen mögen, gewährt sie niemandem, und das Bemühen, das Unendliche aus etwas so endlichem zu gewinnen, hat schon manches stärkere Herz gebrochen.
Zuletzt erfaßte ihn ein glühender Haß gegen den Gedanken an Haus und Heim. Nach 22jähriger Ehe, die ihn mit neun Kindern beschenkte, kam es im April 1858 zur Trennung. Der älteste Sohn blieb bei der Mutter, die anderen Kinder blieben beim Vater, dem von jetzt an seine Schwägerin Georgine denHaushalt führte. Im übrigen war es den Kindern unbenommen, mit der getrennten Mutter in jeder gewünschten Weise zu verkehren.
Forster fügt dieser »Anordnung streng privater Natur« mit Recht die Bemerkung hinzu, das das Weitere das Publikum nichts anginge. Er beklagt auch lebhaft, daß sich Dickens einmal, durch allerhand böswilliges Geschwätz verleitet sah, in seiner Zeitschrift, den Household Words , etwas darüber zu sagen. Indessen war das Los, das die beiden Ehegatten traf, kein ganz gleiches; denn während Dickens selbst nach wie vor im öffentlichen Leben stand und glänzte, führte seine Frau ein dunkles, einsames Leben. In seinem Testamente fordert er die Kinder dringend auf, ihrer Tante die größte Verehrung und Liebe zu bewahren, während von ihrer Mutter nur insofern die Rede ist, als daß sich Dickens gegen den etwaigen Verdacht zu rechtfertigen sucht, daß er sie in pekuniärer Hinsicht nicht reichlich genug bedacht habe. Auf seiner zweiten amerikanischen Reise (1867) ließ er sich durch wiederholte Anklagen abermals verleiten, einen Brief über seine Frau in die Öffentlichkeit zu schicken, der im Ton nicht nur im höchsten Grade unedelmütig ist, sondern überhaupt auf das gröblichste aller Würde eines Gentleman widerspricht.
Der trotz alledem bedauernswerte Dichter mußte übrigens sehr bald einsehen, daß er von der durch ihn selbst heraufbeschworenen Neuregelung der Dinge dennoch keinen inneren Frieden gewann. Die alte Unrast und Unbehaglichkeit, für deren einzigen oder doch hauptsächlichen Grund er die häuslichen Zustände gehalten hatte, kehrten nach der Trennung von seiner Gattin nicht nur wieder, sondern erhöhten sich in gesteigertem Maße, und zwar um so heftiger, je mehr er sich gegen die Einsicht sträubte, einen schweren Irrtum begangen zu haben. Dazu kam noch seit dem Jahre 1865 eine Kränklichkeit, der er durch das falsche Mittel zu trotzen versuchte, sich immer gesteigerte Anstrengungen zuzumuten. Von seinen jetzt noch erscheinenden Werken ist die Geschichte der zwei Städte das einzige, das noch das Gemüt innerlich beschäftigt; er hatte, wie er selbst berichtet, als Urstudie dazu seines Freundes Carlyle Revolutionsgeschichte einige fünfzig Male durchgelesen. Die anderen Romane zeigen in Aufbau und Handlung zwar noch immer die ursprüngliche Meisterschaft, doch es strömt einem aus ihnen nicht die Freude entgegen, die man aus seinen früheren Werken mit den herzerwärmenden Gestalten herausfühlte, weil das Leben, das der Dichter zeigt, sich ihm nicht mehr in der früheren Ungezwungenheit offenbart, sondern daß er es mit einiger Mühe suchen muß, um es zu zeigen.
Die erwähnte zweite amerikanische Reise, die ihm ungefähr eine halbe Million Mark einbrachte, hatte bei den unerhörten physischen und geistigen Anstrengungen seine Gesundheit stark angegriffen. Aber er wurde es kaum gewahr im Taumel der Begeisterung, die ihm von Stadt zu Stadt folgte. Bei einem großen, ihm zu Ehren gegebenen Festmahl in Neuyork sagte er den Amerikanern, daß sich in den
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