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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Bernhard
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dürfe. Ich nahm eine Dose Bier, öffnete sie und goss den Inhalt in die Vase: »Egal wie voll euer Leben ist, Platz für Bier ist immer.«
     
    Der See von Proserpina liegt auf dem Weg, ich bin gespannt darauf, den größten heute noch existierenden römischen Stausee zu sehen.
    Es muss sich um ein Gesetz des Jakobswegs handeln, das immer dann Anwendung findet, wenn ich später als geplant loskomme und mich daher beeilen möchte: Genau dann verlaufe — verrolle? — ich mich prompt und schlage den falschen Weg ein. Ich werde zur Einsicht ermahnt, dass Ziele in einer angemessenen Zeit erreicht werden und es auch mit Gehetze nicht schneller geht.
    Unbeirrt von dieser Lektion versuche ich, die durch Herumirren verloren gegangene Zeit aufzuholen und presche voran. Meine Aufmerksamkeit ist komplett auf die Geschwindigkeit und damit auf das Erreichen der achtzehn Kilometer entfernten Herberge gerichtet, die mich umgebenden Dinge nehme ich nur bruchstückhaft wahr. Ich bemerke nicht einmal, dass sich die Laufeigenschaften des Stuhls verändern, so sehr treibt mich der Wille, schnell voranzukommen, jetzt an.
    Endlich bemerke ich den Platten. Gerade hatte ich bei einer Tankstelle nach Luft fragen wollen, um wieder auf den maximalen Druck von 6.5 Bar zu erhöhen, aber ich hatte keinen Kompressor gefunden. Nun habe ich überhaupt keinen Luftdruck mehr. Wo soll ich hier das Loch flicken? Mühsam habe ich mir in den letzten Jahren antrainiert, in Stresssituationen Ruhe zu bewahren. Einen kühlen Kopf behalten und eins nach dem andern! Aufregen kannst du dich später immer noch... Aber später macht es ja keinen Sinn mehr.
    Ich finde einen schattigen Platz und steige aus dem Rollstuhl aus. Der erste Platten, ich könnte wie Rumpelstilzchen vor Wut aufspringen. Durch die Baumkronen ist bereits das glitzernde Blau des Stausees zu sehen, und ich sitze hier auf dem Boden bei einer Zwangspause.
    Ich lege den Rollstuhl auf die Seite und nehme das Rad heraus. Das ist noch der einfachste Part, durch den Klick-Verschluss besteht diese Aktion nur aus einem einzigen Handgriff. Die Radtasche muss ich komplett ausräumen, da sich die kleinere Werkzeugtasche mit dem Flickzeug und der Luftpumpe natürlich an ihrem tiefsten Punkt befindet. Der schwerste Gegenstand muss am weitesten unten liegen, am Berg ist so ein tiefer Schwerpunkt ein Muss. Den Flickvorgang selbst habe ich schon Hunderte von Malen praktiziert, mindestens einmal jeden Monat. Vollgummireifen sind leider keine Alternative, weil deren Laufeigenschaften einfach nicht gut sind. Und Reifen mit eingebautem Pannenschutz wiegen pro Stück fast 500 Gramm mehr — spätestens vor der Küchenwaage hätte ich sie wieder aussortiert.
     

    Reparatur des ersten Platten
     
    Zu Hause sitze ich bei einer Reparatur bequem auf einem anderen Rollstuhl und kann mich bewegen. Hier fegt mir der Wind das Flickzeug weg. Den aufgepumpten Schlauch halte ich vergeblich ans Ohr, um die entweichende Luft zu hören, der Wind rauscht viel zu laut. Also muss meine Wasserflasche herhalten. Ich schneide sie auf und schiebe den Schlauch stückchenweise durch die Öffnung, sorgsam darauf bedacht, die scharfen Plastikkanten zu meiden. Ich finde nicht weniger als drei Löcher, und das Antrocknen des Klebers scheint mir eine halbe Ewigkeit zu dauern. In einiger Entfernung passieren mich mit kurzen, schnellen Schritten zwei Pilger. An ihrer neuen Ausrüstung und ihren ausgeruhten Blicken erkenne ich sofort, dass sie ihre Wanderung in Mérida angefangen haben müssen. Sie sehen mich gar nicht, so sehr sind sie in sich versunken.
    Endlich ist der Reifen wieder eingebaut und notdürftig aufgepumpt. Nicht einmal drei Bar bekomme ich mit meiner kleinen Integralpumpe zusammen, geschweige denn sechs, aber es reicht, um mich bis zum Ziel zu bringen. Hoffe ich.
     
     

Zuckerrausch
     
    Diese Aktion hat mich über eine Stunde gekostet, aber aufregen kann ich mich mittlerweile nicht mehr. Was habe ich schon verloren? Mir fällt mein Freund Jan ein, der heute Sportmoderator im Fernsehen ist. Früher in der Schule hatte er Stress, weil er einem parkenden Auto die Reifen aufgestochen hatte. In einer Kneipe fragte er mich später einmal verschmitzt, ob ich denn keine Angst hätte, dass er neben mir säße. Dass mir jemand die Reifen aufgestochen hat, ist mir bisher nur einmal passiert, beim Münchener Oktoberfest, aber natürlich nicht von Jan.
    Kurz darauf ist die Reparatur vergessen. Kein Stopp mehr, aber auch keine Hetze,

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