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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Bernhard
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Maria uneinholbar.
    Nach 23 Tagen Sonne muss ich mein Regencape wieder auspacken. Die Landschaft und das Wetter erinnern mich an meine Trainingsstrecken im Taunus. Es ist grün, neblig, nass und menschenleer.
    Während Roberto und Maria auf dem richtigen Weg unterwegs sind, fahre ich auf der Straße. Polizisten kommen vorbei und ermahnen mich, auf dem Seitenstreifen und nicht mitten auf der Fahrbahn zu fahren. Auch wenn es hier nur selten Autos gebe, sei es dennoch gefährlich. Oder wollte ich vielleicht mitgenommen werden? Es seien nur noch zehn Kilometer bis Puebla de Sanabria, ich würde es also bald geschafft haben.
    Ich weiß es besser, es sind noch 25 Kilometer. Wenn ich jetzt bei der Polizei einsteige, werde ich mich vermutlich bis nach Santiago kutschieren lassen. Ich bedanke mich und schicke sie weiter. Irgendwie ahne ich, dass noch eine harte Probe vor mir liegt. Oder ist es nur meine Aversion gegen Galicien beziehungsweise den Dauerregen, dem ich mich unaufhaltsam nähere? Langsam und lustlos schleppe ich mich voran, ich wünschte, ich wäre gemeinsam mit Maria und Roberto auf dem Wanderpfad, in unmittelbarer Natur. Luftlinie trennen mich und den Pfad vielleicht bloß 300 Meter, dazwischen liegt nebelverhangener Wald.
    An einer Kirche mache ich Rast. Mittlerweile hangle ich mich von Raststelle zu Raststelle, so wie ich mich im Job oft von Urlaub zu Urlaub »gerettet« habe. Aber aufgeben kommt nicht in Frage, weder hier noch da. Ich gehe den Weg zu Ende und werde sehen, was das Ziel für mich bereithält!
    Auf der Wiese hängen die Bäume voll von Äpfeln, wie herrlich sie so frisch vom Baum schmecken. Ich runde den Geschmack noch mit salzigem Schinken ab.
     
    In Puebla de Sanabria leben in einem ehemaligen Internatskomplex vier sehr alte Nonnen, die Pilger beherbergen. Sie wohnen im Frauentrakt, der über einen Aufzug verfügt, während für die Pilger der Männertrakt ohne Aufzug vorgesehen ist.
    Den Frauentrakt darf ich nicht betreten und so warte ich auf kräftige Hilfe, die mich in den zweiten Stock hochzieht. Etwas ausgekühlt von Dauerregen und stetigem Fahrtwind sitze ich in der Ecke der stattlichen Empfangshalle auf einer Couch. In der Mitte der riesigen Halle steht ein winziger Tisch mit zwei Stühlen, in einer Ecke eine Topfpflanze.
    Die Schwester bringt mir Decken und entschuldigt sich bei mir, mir nicht helfen zu können. Schon bald hallt das Klopfen von Neuankömmlingen an der Tür.
    Wie erhofft sind es Roberto und Maria. Ohne zu murren ziehen sie mich die unzähligen Stufen hinauf, zum Stadtbummel und Abendessen werde ich von ihnen wieder hinuntergetragen und anschließend natürlich noch einmal hinauf. Dankbar nehme ich alles an, was die beiden mir an Aufmerksamkeit entgegenbringen — was für Alternativen habe ich denn. Auch Roberto und Maria sind fraglos müde von einer anstrengenden Route auf matschigem Boden.
    Beim Abendessen erzählen beide von sich. Roberto schreibt und veröffentlicht in einem lokalen Magazin Gedichte über den Camino.
    Er ähnelt dem jungen Pablo Neruda, finde ich. In seiner Miene meine ich deutlich Anklänge an die Schwermut des Poeten geschrieben zu sehen. Ihm schmeichelt der Vergleich.
    Sie erzählen über das kommunistische Spanien, gemeinsam sehen wir uns danach im Fernsehen eine banale Sendung an, »Café Camera«. Der Name ist Programm. Eine Kamera ist in einem Betrieb im Kaffeeautomaten versteckt, vor dem sich die Mitarbeiter treffen, um ihre Dosis Koffein zu erhalten. Die Show lebt vom Wortwitz, der an mir komplett vorbeigeht. Ich bin dankbar, den Abend nicht allein verbringen zu müssen.
    Regen trommelt an die Fenster. »Das ist Galicien«, denke ich beim Einschlafen. Vor zwei Jahren bin ich mit Lydia hier durchgewandert, ebenfalls bei strömendem Regen. Damals schwor ich mir, nie wieder.
    Sag niemals nie, es limitiert dich nur selber oder veranlasst dich zum Wortbruch. Wieder so eine Jakobsweg-Weisheit?
     
    Sogar die Fußpilger nehmen heute, es ist mein 25. Tag, die nasse Straße auf den 1300 Meter hoch gelegenen Padornelo-Pass. Der Verkehr schlängelt sich auf der oberhalb gelegenen Autobahn hinauf.
    Hier ist es ruhig. Regen. Was überall als die schönste Etappe des Mozarabischen Jakobswegs gepriesen wird, bleibt verhüllt. Asphalt direkt unter den Rädern, mehr Sicht gibt es nicht.
    Ich stelle mir vor, wie andere Rollstuhlfahrer oftmals auf Wanderwegen mit jeweils zwei Begleitern unterwegs sind. Selbst solche Gespanne würden hier bestimmt die

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