Dem Feuer ergeben
sollte sie jetzt machen? Sie hatte überhaupt nichts vorbereitet. Warum auch? Schließlich hatte Lilia diese blöde Rede niemals halten wollen.
Es war Tradition sich für die letzten tausend Jahre zu bedanken und die ein oder andere Anekdote zur Unterhaltung der Gäste mit einfließen zu lassen. Doch es gab nichts, für das sie dankbar gewesen wäre.
Die Beiden näherten sich der Tür und Lilia versteifte sich völlig. Ihre Schwester spürte Lilias Unbehagen und hielt inne.
>Alles okay bei dir? Du bist doch wohl nicht aufgeregt.
Doch Lilia war nicht imstande Camille zu antworten. Panik schnürte ihr die Kehle zu. Als sie es nicht länger aushielt, drehte sie sich aus den Armen ihrer Schwester und rannte den Gang herunter. Sie musste hier weg. Das war der einzige Gedanke, den sie in diesem Moment fassen konnte.
>Lilia!
>Was ist verdammt noch mal los mit dir?
>Lass mich gehen. Ich will hier weg.
Eine Standuhr am Ende des Ganges schlug Mitternacht und verschlimmerte die Situation. Jeder einzelne Schlag machte Lilia deutlich, wie ihr die Zeit davon lief. Sie sollte jetzt nicht hier sein.
Vor wenigen Monaten hatte sie beim Joggen eine alte, vor langer Zeit verlassene, Hütte entdeckt. Dort sollte sie jetzt sein.
Lilia hatte vorgehabt, sich Benzin über den Körper zu schütten. Die übelriechende Flüssigkeit sollte ihr rubinrotes Cocktailkleid durchtränken. Dann würde sie mit einem Streichholz die Ketten ihres irdischen Gefängnisses lösen. Viele Male war sie das Szenario in ihren Gedanken durchgegangen. Sie hatte an alles gedacht. Der Boden war mit Heu bedeckt und würde ebenfalls mit Benzin getränkt werden, nur um sicher zu gehen. Außerdem lag noch ein Feuerzeug auf einem kleinen alten Hocker unter dem mit Brettern zugenagelten Fenster, falls die Streichhölzer versagen sollten. Niemals hatte Lilia aber daran gedacht, dass jemand sie aufhalten könnte zu gehen.
Die Unsterbliche atmete tief ein, ihr Entschluss stand fest.
>Lass los!
>Es tut mir leid, aber ich muss hier weg.
Camille ließ den Arm sinken und obwohl Unverständnis und Irrglaube ihr ins Gesicht geschrieben standen, ließ sie Lilia gehen.
>Danke.
Aus der Uhr tönte der letzte Schlag und als sich Lilia umdrehte, wurde dieses Geräusch von einem schrillen Schrei begleitet. Camille hatte die Augen weit aufgerissen, sie stürzte zu Boden und schlug wild um sich. Ihre Schmerzensschreie durchschnitten die warme Luft des Foyers und sie fing an, sich panisch die Arme aufzukratzen. Der Anblick ihrer Schwester ließ Lilia vor Angst erstarren. Was passierte hier?
Plötzlich fing Lilias Haut an unangenehm zu kribbeln und ihre Hand schimmerte in einem bläulichen Licht. Sie begann zu schwelen. Das hatte Lilia nicht geplant. Langsam fraß sich das blaue Licht vorwärts. Mit offenem Mund und unfähig etwas zu sagen oder zu tun, starrte sie ihre langsam verkohlende Hand an.
Sie wusste, dass es sich hierbei um kein normales Feuer handelte, doch es war ihr unmöglich es zu begreifen. Nur Hexen konnten den Blauen Fluch wirken, doch die existierten nicht mehr.
Lilia blickte angsterfüllt auf ihre Schwester. Fast erleichtert stellte sie fest, dass an Camilles Körper kein bläulicher Schimmer zu sehen war. Sie hatte sich nicht mit dem Hexenfeuer infiziert. Es war die Verbindung zu Joel, ihrem Ehemann, die sie leiden ließ. Seine Todesängste, seine Schmerzen, all das spürte Camille nun. Lilia biss die Zähne zusammen, als das Feuer langsam über ihre Schulter kroch und die Haut bis auf die Knochen herunterbrannte. Mit einem erstickenden Schrei in der Kehle, brach sie zusammen und ergab sich ihrem Schicksal.
Die Dunkelheit, die sich wie ein Mantel über ihren Körper legte, nahm ihr die Schmerzen und noch mehr. Die Vampirin empfand weder Angst, noch Trauer oder gar Wut. Alles was sie spürte, war ein wohliges Gefühl in ihrem Inneren. Ein kleiner Lichtstrahl bahnte sich den Weg durch die Dunkelheit und traf auf Lilias Körper. Die Wärme hüllte sie ein und in ihrem Herzen spürte sie Frieden.
Endlich.
Kapitel 2
>Das ist unmöglich, sie sind alle tot.
>Und wenn ich es dir doch sage, es gab eine Überlebende. Ihr Körper ist sogar fast schon völlig verheilt. Es ist, als hätte der Blaue Fluch sie niemals getroffen.
Die gedämpften Stimmen drangen nur langsam in ihr Bewusstsein. Sie schlug die Augen auf. Alles war dunkel, nur der schmale Schlitz unter der Tür ließ etwas Licht in das Zimmer, sodass Lilia einige Konturen erkennen konnte.
Weitere Kostenlose Bücher