Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Monroe
Vom Netzwerk:
die Fischadler diesem Platz treu. Wie die Adler. Sie kommen Jahr für Jahr wieder dorthin, um zu brüten. Sie sind auch ihrem Partner treu bis ans Lebensende. Das finde ich bemerkenswert, und sie verdienen meinen vollen Respekt.”
    “Was finden Sie bemerkenswert, dass die Tiere zum Brüten immer wieder denselben Platz wählen oder dass sie ihrem Partner treu sind?”
    “Eigentlich beides. Sie haben sich ja kein Versprechen gegeben, dass sie für immer und ewig zusammenbleiben wollen.” Er blickte zum Nest hinauf und seine Augen verengten sich dabei. “Nicht dass Versprechen überhaupt sicherstellen würden, dass ein Paar zusammenbleibt.”
    Ella wandte den Kopf und sah ihn erstaunt an. Harris bereute seinen Ausrutscher.
    “Sie haben einen starken Instinkt, woher sie kommen und wo sie bleiben wollen. Eine Bindung an das Nest ist auch eine Bindung an den Partner.”
    “Das ist eigentlich ziemlich romantisch, wenn man so drüber nachdenkt.”
    Er gluckste. “Lassen Sie das bloß keinen Biologen hören.”
    “Also ist diese Stück Land Ihr Nest?”
    “So könnte man es sagen. Aber vielleicht nicht mehr lange, wenn ich das Center nicht erfolgreich bewirtschafte.” Er hob die Schultern, als ob er sagen wollte:
Wer weiß schon, was die Zukunft mit sich bringt?
    “Mit dem Risiko, unseren lieb gewonnen Platz zu verlieren, müssen wir alle leben”, sagte sie.
    “Wohl wahr”, erwiderte Harris nachdenklich. “Es gilt sogar für die Fischadler. Manchmal kommen sie im Frühling zu ihren Nestern zurück und finden dort eine Eule vor, die sich häuslich eingerichtet hat. Wie sehr sie sich auch aufregen, sie können die Eule nicht vertreiben.”
    “Und was machen sie dann?”
    “Sie ziehen weiter. Bauen ein neues Nest. Das altbekannte biologische Gebot.”
    “Fannie hat zusammen mit Ihnen im Haus gelebt, stimmt’s?”
    Sein Gesicht wurde bei diesem plötzlichen Themenwechsel verschlossen, und er antwortete vorsichtig: “Für eine Weile.”
    “Maggie hat mir erzählt, dass sie Ihnen mit den Vögeln geholfen hat.”
    Er seufzte, als er bemerkte, dass es ihm über kurz oder lang doch nicht erspart bleiben würde, sich mit ihr über Fannie zu unterhalten. Er musste es tun, wenn er ehrlich und fair mit Ella umgehen wollte.
    “Ich kannte Fannie schon, seit sie ein kleines Mädchen war. Sie wuchs bei meiner Mutter und mir auf und kannte die Vögel schon von Kindesbeinen an. Also war es keine Überraschung, dass sie mir irgendwann zu helfen begann.”
    “Sieht Marion ihr ähnlich?”
    Seine Augen blickten leer und leblos, als er in seinen Erinnerungen nach ihrem Bild suchte. “Sie sieht ihr ähnlich, aber Fannies Schönheit war … atemberaubend.”
    Ella spürte die Eifersucht wie einen Dorn in ihrem Herzen. Sie war neidisch auf diese Frau, die sie nie getroffen hatte, aber die noch immer in der Erinnerung von Harris und Marion herumspukte. Sie wusste, dass sie selbst keine schöne Frau war. Nicht einmal hübsch. Das Einzige, was die Menschen über ihr Aussehen sagen konnten, war, dass sie
nett
aussah – und das war weit entfernt von
atemberaubend
.
    Harris fuhr sich mit der Hand durchs Haar und atmete langsam aus. “Fannie”, wiederholte er, und sie konnte nicht sagen, ob es resigniert oder aufgewühlt klang.
    Ella wartete – ihr fiel nicht auf, dass sie sich dabei unbewusst nach vorne lehnte und den Atem anhielt.
    “Sie ist etwa zehn Jahre jünger als ich. Für mich war sie zuerst wie eine kleine Schwester. Sie lebte die Straße runter, nicht weit von mir entfernt, zusammen mit ihrer Mutter und ihrer so genannten Familie. Die Familie war ziemlich kaputt. Die Mutter hatte viele Männerbekanntschaften – Onkel, wie Fannie sie nannte. Diese Männer lebten für eine Weile bei der Familie, dann raubten sie sie aus oder schlugen sie, manchmal auch beides und hauten dann ab. Es war unsagbar traurig. Jedenfalls tauchte Fannie eines Tages vor unserer Tür auf. Sie kann damals nicht älter als elf gewesen sein.” Er verstummte und dachte an die lang vergangenen Tage, unten beim Edisto-Fluss.
    “Ich werde niemals vergessen, wie sie aussah, als ich sie das erste Mal traf. Lange, dünne Beine und riesengroße Augen, in denen viel zu viel Traurigkeit und zu viele schlechte Erfahrungen für ein Mädchen ihres Alters steckten. Sie kam, um Gelegenheitsjobs zu machen, und verbrachte später mehr Zeit bei uns als bei sich zu Hause. Als ich dann Vollzeit arbeiten ging, stellte ich sie an, um sich um meine Mutter zu kümmern.

Weitere Kostenlose Bücher