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Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Monroe
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weiter, das Boot unter Kontrolle zu bekommen. Und es gelang ihnen – endlich ruderten sie in gemeinsamem Takt, und das Kanu glitt ruhiger durch die Strömung des Flusses. Harris saß hinten und steuerte das Boot mit langen, fließenden Ruderbewegungen. Wieder und wieder tauchte Ella ihr Paddel in das dunkle Wasser des Flusses, und schon bald empfand sie das gemeinschaftliche, rhythmische Rudern als verbindendes Element zwischen sich und Harris.
    Nach einer Weile ließen sie sich mit dem Fluss treiben. Nur manchmal verlangsamten sie die Fahrt, um sich zu unterhalten oder die Landschaft zu genießen.
    Vogelgesang erfüllte die schwül-warme Luft. Von Zeit zu Zeit konnte sie das Geräusch von einem Wassertier – einer Eidechse, einem Frosch oder Alligator – hören, das sich ins Wasser gleiten ließ. Jedes Mal wandte sie den Kopf, um einen Blick auf das Tier zu erhaschen, konnte aber immer nur die verräterisch gekräuselten Wellen auf der Wasseroberfläche sehen.
    Alles, was sie erblickte, war neu und geheimnisvoll. Blühende Hornsträucher standen zwischen majestätischen, mehr als tausend Jahre alten Sumpf-Zypressen und knorrigen Eichen, die am Flussufer wuchsen. Die langen, herabhängenden Äste waren bedeckt mit Spanischem Moos und lagen auf der Wasseroberfläche wie die Ärmel einer Frau, die ihre schlanken Finger ins Wasser hält.
    Das Leben auf dem Fluss scheint träger zu sein, langsamer, und es scheint seinen eigenen Gang zu gehen, dachte sie. Alles, was noch zählte, war, was hinter der nächsten Biegung lag. Während sie ruderte, genoss sie Harris’ tiefe, volle Stimme, der ihr die Geschichte des Landes erzählte. Und die Geschichte war so komplex und reich wie die Landschaft selbst.
    Er erzählte, wie 1526 die Spanier mit ihren prachtvollen Schiffen an Land kamen und in den folgenden hundert Jahren mit den Engländern und Franzosen zusammen die ersten Siedlungen in der Neuen Welt erbauten. Schon 1729 war Charleston ein blühender, geschäftiger Seehafen, der einigen Menschen Wohlstand bescherte und andere dazu verführte, diesen Leuten ihren Reichtum wieder abspenstig zu machen. Berühmte Piraten wie zum Beispiel Blackbeard und Caesar suchten ihr Glück. Harris erfreute sie mit den spannenden Piraten-Geschichten, mit der Geschichte des legendären Swamp Fox, Francis Marion, und mit der Geschichte von Christopher Gasden, einem ansässigen Großgrundbesitzer, der für den Kampf der Kolonialherren eine eigene Flagge entwarf.
    Ab und zu unterbrach Harris sich, um mit dem lauten Ruf “Schauen Sie da!” auf etwas Besonderes hinzuweisen. Sie drehte den Kopf, um zu sehen, was sein Aufmerksamkeit gefesselt hatte, und musste lächeln – er war seiner Tochter sehr ähnlich. Mal war es ein Trio aus Angelschnüren, das von einem Baum ins Wasser hing, wobei jede Schnur durch eine andere Farbe gekennzeichnet war. Jemand schien heute Barsch oder Wels zum Abendessen fangen zu wollen. Dann deutete er auf einen klapprigen Hochsitz, der sich an einen Baumstamm schmiegte. Was Ella jedoch am schönsten fand, waren die Augenblicke, in denen er ihr aufgeregt auf die Schulter tippte, um ihr etwas zu zeigen. Dann sah sie in den Himmel, um dort vielleicht eine Gruppe seltener Holzstörche zu erblicken, die weiß und prachtvoll in den mächtigen Ästen einer abgestorbenen Eiche hockten. Sie wandte Harris den Kopf zu und lächelte, stolz darauf, dass sie nun diese Vögel erkennen und auch benennen konnte.
    Als die Sonne im Zenit stand, krempelten sie ihre Ärmel hoch und spürten die wärmenden Strahlen, die ihre Haut küssten. Sie trugen Sonnenmilch und Mückenspray auf. Die Strömung des Flusses war mittlerweile recht stark, und sie kamen schnell voran. Doch am Himmel zogen bedrohliche Wolken auf. Ella dachte darüber nach, dass sie bald eine Mittagspause einlegen sollten. Mit sorgenvoller Miene betrachtete sie den grauen Himmel und überlegte, ob sie vielleicht sogar umkehren mussten. Sollte sie Harris fragen? Aber sie entschied sich dagegen und hoffte darauf, dass sich das Wetter hielt, damit sie die gemeinsame Zeit mit Harris bis zum Ende auskosten konnte.
    Im nächsten Augenblick wurden ihre Hoffnungen zerstört – die ersten schweren Regentropfen fielen vom Himmel.
    “Oh, nein”, rief sie aus, hörte auf zu rudern und blickte fragend über die Schulter.
    Er zog eine Grimasse und sah in den Himmel. “Ich habe gedacht, dass wir erst noch zu Mittag essen können und dann umkehren, bevor das Unwetter losbricht”, sagte

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