Dem Himmel entgegen
gefangen, zog sie in ihren Bann, und sie lief zum Fluss hinunter. Da stand sie und bestaunte verzaubert die Schönheit des dunklen Wassers vor dem strahlenden Blau des Frühlingshimmels. Einige der Bäume standen teilweise in dem Wasser, das die Farbe von Tee hatte.
Harris trat an ihre Seite.
“Es ist so wunderschön”, flüsterte sie. Sie fand keine anderen Worte, um zu beschreiben, was sie in dem Moment empfand.
“Der Wasserstand ist hoch, weil es in der letzten Zeit übermäßig viel geregnet hat. Wir müssen uns also keine Sorgen darüber machen, dass wir mit dem Boden des Kanus auf Grund laufen könnten.” Er blinzelte. “Aber wir werden kräftige Strömug haben, das Wasser ist aufgewühlt.”
Ella wandte ihm das Gesicht zu. “Kräftige Strömung?”
“Sie wissen doch, wie man mit den Paddeln umgeht, oder?”
“Also, ja, sicher. Ich bin in Vermont auch Kanu gefahren, aber das liegt schon einige Jahre zurück.”
“Das ist wie Fahrrad fahren. Das verlernt man nicht. Sie schaffen das.”
“Sind Sie sicher? Es scheint mir doch ein kleiner Unterschied zu sein.”
“Wieso?”
“Dieses Wasser ist trüber als bei uns zu Hause, unkalulierbarer. Und in Vermont gibt es keine Alligatoren in den Flüssen.”
“Ach, machen Sie sich um die keine Sorgen. Sie sind sehr scheu. Viel eher würde ich mir Sorgen über die Mokassinschlangen machen.”
“Oh, toll. Danke, dass Sie mir das jetzt erzählen.”
Er gluckste vor Lachen und genoss die Neckerei mit Ella. Vergnügt legte er einen Arm um sie und drückte sie – und wieder musste Ella sich selbst daran erinnern, dass es nur eine freundschaftliche Geste war. Nicht mehr.
“Machen Sie sich keine Sorgen, Ella. Wir werden viel Spaß haben. Nur Sie und ich und der Fluss.”
Er ließ den Arm sinken, und sie wich einige Schritte zurück, ein bisschen durcheinander wegen seiner Spontaneität. Seit dem Tag am Bach hatte er ihr oft seine Zuneigung durch freundliche Gesten bewiesen. Es schien, als hätten sie an jenem Tag eine Grenze überschritten, was es ihm erlaubte, sich in ihrer Gegenwart wohler und freier zu fühlen. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie sagen, dass sich zwischen ihnen ein heftiger Flirt entwickelt hatte. Blicke, die sich trafen, Schultern, die sich wie zufällig berührten, Hände, die während langer Spaziergänge einander hielten.
Sie sah ihm hinterher, wie er mit aufgeregten, schnellen Schritten zum Truck lief. Er wirkte so jungenhaft in seiner Aufregung und konnte es offensichtlich kaum noch erwarten, das Auto auszuladen und das Boot zu Wasser zu lassen. Locken kringelten sich unter seiner Kappe hervor und verstärkten dieses Bild noch. Er hatte sich für die Kanufahrt auf dem Fluss eine kurze Hose, ein langärmeliges T-Shirt und eine Regenjacke angezogen. Auch Ella hatte sportliche Kleidung gewählt und war ähnlich gekleidet, bis auf den Unterschied, dass sie ein Wolltuch statt der Baseball-Kappe trug.
“Ella! Lassen Sie uns die Vögel in die Freiheit schicken, solange der Morgen noch kühl ist. Sie müssen sich erst beruhigen und an die Umgebung gewöhnen, wenn sie in der freien Wildbahn sind, und das können sie am besten, bevor die Sonne dann hoch am Himmel steht.”
“Ich komme schon.”
Sie holten die beiden Transportboxen von der Rückbank des Trucks und trugen sie behutsam durch den Wald bis zu einer Lichtung, die sie ausgemacht hatten. Harris hatte unterwegs erklärt, dass sie die Nestlinge in diesem Wald aussetzen wollten, da sie auch dort gefunden worden waren. Er hoffte, dass sie in einen Lebensraum entlassen wurden, der Nahrung für zwei weitere hungrige Uhus bot.
Vorsichtig stellten sie die Boxen auf den weichen Waldboden, der mit Blättern und Moos bedeckt war. Nachdem sie Schutzhandschuhe übergestreift hatten, öffnete Ella die abgekantete obere Hälfte der Kunststoffbox. Sofort gab der Virginiauhu warnende Töne von sich. Ella sah in die Box und blickte in zwei riesige gelb leuchtende Augen, die sie mit Verachtung anstarrten.
“Ist schon gut”, flüsterte sie beruhigend und griff in die Box, um das Tier herauszuholen. Der Vogel war aufgeregt, zuckte zurück und hackte entschlossen auf ihren Handschuh ein. Sie war immer wieder erstaunt über die unbändigen Kräfte, die so ein Virginiauhu besaß.
“Aua!” schrie sie aus, als der Schnabel sich durch den dicken Handschuh bohrte. “Der hier hat die richtige kämpferische Einstellung.”
“Das ist gut, die wird er brauchen, um zu überleben”,
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