Dem Himmel entgegen
aus. Und sie hatte sich gesagt, es sei an der Zeit, die Wahrscheinlichkeit eines Lebens ohne Mann in Betracht zu ziehen und sich allmählich damit abzufinden.
Die Wirklichkeit war nicht so sehr beängstigend als vielmehr ernüchternd. Während sie so in die Glut starrte, sah sie, wie ihre innersten Träume von einer eigenen Familie immer schwächer wurden und sich schließlich wie der Rauch eines erlöschenden Feuers in Nichts auflösten.
An jenem Geburtstagsabend, den sie allein verbrachte, entschied sie sich, nicht länger verzweifelt zu hoffen, sondern etwas zu tun. Sie konnte in ihrem Leben nicht viel ändern, aber sie konnte ihren Weg durch dieses Leben selbst bestimmen. Ihr Leben
würde
wieder Sinn machen, Erfolg und Freude bringen. Wenn sie sich nicht um ihre eigene Familie und ihre eigenen Kinder kümmern konnte, dann würde sie sich eben ihrer Karriere widmen und sich um die Kinder sorgen, die unter ihrer Obhut standen.
Und außerdem – auch das entschied sie in einer kalten, einsamen Winternacht in Vermont – würde sie es wenigstens schön warm haben.
Am nächsten Morgen besorgte sie sich eine Landkarte und wählte nur die Städte aus, die in der Nähe von Sandstränden und Palmen lagen. In der Stadt musste es selbstverständlich ein großes Krankenhaus geben, auch ein Theater und gute Musik würde sie sich wünschen, und ein Museum stellte ein großes Plus dar. Aber das Wichtigste auf der Liste war das milde Klima. Das erschien ihr nicht zu viel verlangt, und sie hatte sich den Wunsch nach einer Klimaveränderung bereits in den Kopf gesetzt. Direkt nachdem die Weihnachtskränze und Tannenzweige am Gasthof ihrer Stadt abgenommen worden waren, packte sie alles, was sie mitnehmen konnte, in ihren Toyota, küsste ihre weinenden Tanten zum Abschied und fuhr gen Süden ins sonnige Charleston, um dort ihr neues Leben im neuen Jahr zu beginnen.
Während der langen Fahrt bekam sie fast nichts von der Schönheit der Landschaft mit. Zu beschäftigt war sie mit der Frage, was sie am Ende dieser Reise erwarten würde. In ihrem Kopf spielten sich alle möglichen Szenarien ab. Aber niemals, nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hatte sie mit dem Gedanken gespielt, dass Raubvögel einmal ihre Nachbarn wären und dass sie mit einem sturen Mann und seiner aufsässigen Tochter in einem winzigen Häuschen mit nur einem Badezimmer leben würde.
Sie schmunzelte über die versponnenen Wege des Schicksals, stand dann auf und schloss ihr Fenster. Zitternd zog sie sich ihren Morgenmantel aus und schlüpfte unter die schwere Bettdecke. Es dauerte ein paar Minuten, bis sich ihr durchgefrorener Körper wieder aufgewärmt hatte. Sie schlang die Arme um ihren Körper und rieb die Füße aneinander. Schon bald wurde es warm unter der Decke, ihre Muskeln entspannten sich, und ihr Atem ging gleichmäßig. Sie schloss die Augen und konnte durch das Fenster die süßen Liebeslieder der Eulen hören, die sie umgaben.
In dem Augenblick, als ihre Lider bereits schwer wurden, glaubte sie für einen kurzen Moment, die tiefe, volle Stimme eines Mannes zu hören, die mit den Liedern der Vögel verschmolz.
5. KAPITEL
F edern:
Federn sind Wunderwerke der evolutionären Anpassung. Sie gehören zu den stärksten und zugleich leichtesten Strukturen lebenden Gewebes und können mehr, als Vögeln helfen zu fliegen. Wenn das Tier sich aufplustert, entstehen unter den Federn Luftpolster, die es vor der Kälte schützen. Wenn der Vogel die Federn nah an den Körper presst, wird über die Federn überschüssige Hitze abgegeben. Alle Vögel verlieren von Zeit zu Zeit ihre alten Federn und ersetzen sie durch neue. Diesen Prozess bezeichnet man als die Mauser
.
Ella erwachte im Morgengrauen. Das zartrosa Licht der dämmernden Sonne kündigte den Tag an. Die Vögel zwitscherten vor ihrem Fenster. Es waren nicht die zarten Liebeslieder der Eulen oder die durchdringenden Schreie der Raubvögel, sondern das unmelodische Zanken und Keifen Eichelhäher und Spottdrosseln in den umliegenden Wäldern. Sie zog die Ecke ihrer wärmenden Steppdecke näher an das Kinn und kuschelte sich tief hinein. Als ihr wieder bewusst wurde, wo sie war, erstarrte sie.
Mein Gott, wie spät ist es?
Hastig schlug sie die Decke zurück, und die kühle, feuchte Morgenluft traf sie wie ein Schwall kalten Wassers.
Eilig griff sie nach ihrer Uhr und sah mit Erstaunen, dass es noch nicht einmal halb sechs war. In der Luft hing die bittere und feuchte Kälte, die entsteht, wenn
Weitere Kostenlose Bücher