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Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Monroe
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die frei sein wollen. Manchmal gelingt es ihnen, zu entwischen, auch wenn man noch so vorsichtig ist. Letzte Woche erst ist eine kleine Kreischeule aus ihrer Voliere geflohen. Sie sind winzig und schnell, und ihnen reicht eine schmale Öffnung, aus der sie schlüpfen können. Es hat eine Ewigkeit gedauert, bis wir sie wieder eingefangen hatten. Wenn wir die Tür des äußeren Pferches geschlossen halten, können sie nicht ganz wegfliegen. Aber wenn ihnen das doch einmal gelingt, können wir ihnen nicht mehr helfen. Sie sind noch nicht gesund genug, um in der freien Wildnis überleben zu können. Du musst also sehr vorsichtig sein, sonst brechen sie aus.”
    “Ich darf doch sowieso nicht in der Nähe der Vögel sein.”
    “Vergiss einfach nicht, was ich dir gesagt habe, ja? Man weiß eben nie.”
    Brady trat an den ersten Käfig heran und blickte hinein. Zwei schwarze Geier saßen auf einer Stange im oberen Teil der Voliere. Es waren hässliche Kreaturen. Mit ihren federlosen Köpfen, der schrumpeligen Haut und den langen schwarzen Federn, die sie eng an ihre Körper gepresst hatten, sahen sie wie zerfurchte alte Männer in Mänteln aus, die auf einer Parkbank kauerten. Als er näher heranging, plusterten sie sich ein bisschen auf und zischten ihn an. Das Geräusch erinnerte an einen Schweißbrenner, der auf höchster Stufe arbeitete. Eines der Tiere erbrach eine widerwärtig riechende Substanz.
    “Hey, beruhige dich, Mann”, sagte Brady und wich zurück.
    “Du solltest ihnen nicht zu nahe kommen”, schimpfte Clarice. “Das ist ihre Art, sich zu verteidigen.”
    Brady zog den Kopf ein.
    “Beweg dich langsam, sachte”, erklärte Lijah ihm freundlich und gelassen. “Sprich leise. Sie mögen es nicht, wenn Menschen in der Nähe sind. Das ist nicht normal für sie.”
    Lijah ging rüber zu Voliere Nr. 3, hielt an und beugte sich hinunter, um besser hineinsehen zu können. Aus den Augenwinkeln beobachtete Brady ihn und bemerkte, wie das Gesicht des alten Mannes vor Zuneigung zu strahlen schien.
    “Ist sie das?”
    “Das ist sie.”
    Brady war neugierig, hielt sich aber aus Angst zurück.
    “Hey, Santee”, sagte Lijah mit leiser, ruhiger Stimme. “Wie geht es meiner besten Freundin? Geht es dir besser heute? Du siehst gut aus. Hier ist jemand, der dich kennen lernen möchte.”
    Er sah zu Brady hinüber und winkte ihm kurz aufmunternd zu. Brady hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und trat an den Käfig heran, um zwischen den Latten hindurchzuspähen.
    Im Inneren stand ein Weißkopf-Seeadler auf einer Sitzstange knapp über dem Boden. Das Adlerweibchen war gewaltig, mit glänzendem schwarzem Gefieder und weißem Kopfgefieder. Die tief gezogene Stirn ging in den gelben Schnabel über, und der Ausdruck ihrer leuchtend gelben Augen wirkte noch wilder.
    “Ich glaube nicht, dass sie mich mag.”
    Clarice schnaubte bei diesen Worten verächtlich.
    “Vielleicht nicht”, erwiderte Lijah, ohne auf Clarices Unmutsäußerung zu reagieren. “Offen gesagt mag sie die meisten von uns nicht. Das ist aber okay. Sie muss die Menschen ja nicht lieben.”
    “Wenn man sie so ansieht, bekommt das Wort ‘starren’ eine ganz neue Bedeutung.”
    Lijah kicherte leise und blickte den Adler noch immer so liebevoll an wie ein Vater sein Kind. Er wandte sich den Geräuschen zu, die Clarice in der letzten Voliere machte. “Ja, sie kann jemandem Angst einjagen.”
    “Sie sind alle versorgt”, sagte Clarice zu Lijah. “Ich komme später wieder, um nach Überresten zu gucken. Wie geht es dir denn? Ich habe gehört, du wohnst jetzt in der Holzhütte am Weiher?”
    “Ja”, erwiderte Lijah.
    “Und, gefällt es dir?”
    “Ja, es ist warm und sauber. Und vor allem, es sich nahe bei Santee. Ich kann mich nicht beklagen.”
    “Wir vermissen dich aber. Jeder vermisst dich. Mommy hat fast der Schlag getroffen, als sie hörte, dass du um diese Jahreszeit in den Wäldern übernachtest. Und das in deinem Alter!”
    “Deine Mutter macht immer so ein Theater.”
    “Sie möchte wissen, ob du morgen vorbeikommen und helfen kannst. Anschließend kannst du bei uns essen. Ich würde dich gerne abholen.”
    “Das klingt gut. Sag deiner Mutter, dass ich das Angebot gern annehme. Soll ich etwas mitbringen?”
    “Nur deine Geschichten.” Gerade wollte er widersprechen, doch sie sagte schnell: “Wirklich, Lijah, wir würden uns freuen. Ich komme gegen zehn vorbei, wenn es dir passt?”
    “Das passt mir gut.”
    Clarice beugte sich

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