Dem Himmel entgegen
er so ins Schwitzen, dass er seine Jacke ausziehen musste.
“Hey du”, rief jemand von der Straße herüber.
Brady drehte den Kopf und sah Clarice, die auf ihn zulief und eine braune Tüte im Arm hielt. Sie bewegte sich locker und ungezwungen, mit langen Schritten. Ihre Hüften schwangen dabei von links nach rechts. Ihr glänzendes schwarzes Haar war heute zu unzähligen kleinen Zöpfen geflochten, die sie im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden hatte. Er stellte sich gerade hin und versuchte, mit einer Hand sein Haar ein bisschen zu glätten.
Er wurde aus Clarice einfach nicht schlau – oder aus seinen Gefühlen für sie. Sie war eines der hübschesten Mädchen, das er je gesehen hatte, obwohl sie nicht dem entsprach, was er normalerweise als hübsch bezeichnete. Nicht wie Jenny, seine Freundin. Jenny war wie alle Mädchen, in die er sich bis jetzt verliebt hatte: blond, mit großen blauen Augen und leicht zu beeinflussen. Clarice war … eigentlich konnte er gar nicht so genau sagen, was ihn an ihr so faszinierte. Es war eher ihre Art, wie sie Dinge tat, als ihr Aussehen, das ihn anzog. Wirklich selbstbewusst und klug, als wüsste sie genau, was sie wollte, und sich das auch nahm. Sie war aber auch eine Plage und liebte es, sich aufzuspielen und ihre Mitmenschen zu ärgern. Besonders ihn. Doch in den letzten Wochen war sie schon deutlich netter zu ihm geworden. Wenn sie Lijah eine Cola brachte oder einen Snack, brachte sie Brady auch etwas mit. Mittlerweile hielt er immer nach ihr Ausschau, wenn er ins Center kam.
“Ich dachte, du würdest hier arbeiten”, sagte sie, als sie näher kam. “Und jetzt stehst du hier nur reglos in der Gegend herum. Du erinnerst mich an einen typischen Straßenarbeiter, der sich auf seine Schippe lehnt und sich die Sonne auf die Mütze brennen lässt.”
“Ich habe nur Luft geholt”, verteidigte er sich. “Es ist harte Arbeit, diese Hacke zu stemmen.”
“Das wusste ich nicht”, erwiderte sie und hob keck das Kinn. Sie lief an ihm vorbei. “Warum ist das Tor offen?” wollte sie wissen. “Es sollte eigentlich immer geschlossen sein.”
“Frag den Chef. Er sagte mir, ich solle es offen lassen, während ich den Graben aushebe.”
Dagegen konnte sie nichts einwenden, und er genoss den Triumph, wenigstens
einmal
das letzte Wort behalten zu haben.
“Was machst du hier?” fragte er.
“Ich bin gekommen, um dem Hahn ein bisschen Futter zu bringen.”
“Oh.” Er betrachtete den Vogel und wandte sich dann wieder seiner Arbeit zu.
Schweigend hackte er weiter, konnte es aber nicht lassen, Clarice aus den Augenwinkeln zu betrachten. Sie lief zu der Kiefer und streute trockene Körner auf den Boden unter dem Stammsitz des Hahnes.
“Warum machst du das?” fragte er.
“Das ist doch wohl offensichtlich, denke ich.”
“Wenn ihr so besorgt um den Hahn seid, warum bringt ihr ihn dann nicht in einem eurer Käfige unter, anstatt ihn hier sich selbst zu überlassen?”
“Er gehört uns ja nicht, und wir haben nicht das Recht, über ihn zu bestimmen. Er kam freiwillig hierher und sitzt seitdem herum, beobachtet, wer kommt und wer geht. Offenbar ist er gern im Center, sonst wäre er schon längst verschwunden.” Sie warf noch eine Handvoll Körner auf den Boden, dann schloss sie die Tüte. “Wir lassen ab und zu etwas Korn da, nur um sicher zu gehen, dass er genug zu fressen hat.”
“Es ist irgendwie seltsam, dass er da ist, stimmt’s? Ich meine, warum ist er hergekommen, und was hält ihn hier?”
Sie trat an ihn heran und kräuselte nachdenklich die Stirn. “Ich weiß es nicht. Aber Lijah sagt, dass jedes Tier einen mächtigen Geist hat. Man nennt das
Totem
. Die Tiere sind Übermittler zwischen geistiger und menschlicher Welt. Mensch und Tier bilden eine Art Schicksalsgemeinschaft.”
Brady hob die Augenbrauen. “Sicher.”
Clarice schnaubte ob Bradys abfälliger Bemerkung und sagte scharf: “Ich vergeude hier ganz offensichtlich meine Zeit. Du würdest sowieso nicht verstehen, was ich sage.”
“Willst du damit behaupten, dass ich dumm bin?”
“Das hast du gesagt, nicht ich.” Sie wandte sich ab und lief los.
“Warte”, rief er ihr hinterher. Er interessierte sich nicht wirklich für diesen Totem-Schicksalsgemeinschaft-Kram, doch er wollte sich gerne noch ein bisschen länger mit ihr unterhalten.
Sie wandte keck den Kopf und schenkte ihm einen ungeduldigen, fragenden Blick.
“Also, erzähle mir was über diese Totem-Sache.”
Sie guckte
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