Dem Himmel entgegen

Ich kann es kaum erwarten, endlich aus der Schule zu kommen.”
    “Oh.”
    Er grub den Absatz seines Schuhs tiefer in den Boden und verlagerte sein Gewicht. “Californien, wie? Ich glaube, das ist ganz cool. Manchmal ist es gut, weit weg zu sein.”
    Erst jetzt fühlte er sich wirklich beschämt, denn er bemerkte sehr wohl, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte und er ihr ganz offensichtlich Leid tat. Sie spürte, dass es unangebracht gewesen war, ihren persönlichen Erfolg so in den Vordergrund zu stellen. Brady wünschte sich, er könne einfach in dem Loch verschwinden, das er gerade grub.
    “Hey”, sagte sie mit aufmunternder Stimme. “Du solltest es einfach versuchen. Es ist nie zu spät.”
    Für Typen wie mich schon, dachte er verbittert. Wenn sie nur wüsste, wie sein Leben wirklich aussah, würde sie diese locker-leichten Sprüche unterlassen.
    “Also, dann gehe ich mal besser wieder an die Arbeit.”
    “Ja, ich auch. Wir sehen uns.”
    Sie lächelte, bevor sie kehrtmachte, und zu seinem Erstaunen konnte er in ihrem Gesicht keinerlei Boshaftigkeit oder Missgunst erkennen, wie er es eigentlich erwartet hatte.
    Er blickte ihr hinterher, als sie fortging, mit diesem selbstbewussten Gang und den schwingenden Hüften. Plötzlich fühlte er die Wut wie einen Stich in seinem Herzen und fragte sich, was es war, das einige Menschen von Geburt an zu Siegertypen machte und andere wiederum – egal wie sehr sie sich auch bemühten – zu ewigen Verlierern.
    Bevor er die Hacke anhob, schaute er noch einmal zu dem Hahn. Der saß wie immer reglos, mit schräg gelegtem Kopf und blickte ihn unverwandt an.
    “Was guckst du so?” sagte er missgünstig. “Denkst du, du wärest
mein
Totem, oder so? Das kannst du dir gleich wieder aus dem Kopf schlagen.”
    Der Hahn schüttelte seine Federn, streckte die Flügel und ließ sich zu Boden segeln. Er kam direkt auf ihn zu – mit dem typischen Gang, bei dem sich der Kopf ruckartig bewegte, die Beine nach vorne geworfen wurden und sich der helle, leuchtend rote Kamm im Rhythmus bewegte. Brady fühlte sich ein wenig unwohl, als das Tier auf ihn zusteuerte, und wich zurück, wobei er beinahe über die Spitzhacke gestolpert wäre, die auf dem Boden lag.
    “Also, okay”, sagte Brady und versuchte, das Gleichgewicht zu halten. “Reg dich nicht auf.” Der Vogel stoppte einige Meter von ihm entfernt, doch Brady wagte es nicht, die Augen von ihm zu wenden. “Du machst einfach weiter und frisst dein Futter und lässt mich an meinem Graben arbeiten, hörst du?”
    Er drehte sich um und hob die Hacke, um weiterzugraben. Der Hahn lief zur Kiefer zurück und scharrte mit den Füßen eifrig nach Korn.
    Brady schüttelte den Kopf und murmelte: “Verdammter verrückter Vogel.” Doch wenn er ganz ehrlich war, fing er an, den dummen weißen Hahn zu mögen. Sie waren sich sehr ähnlich. Sie wussten beide, wie es war, am Rande der Gesellschaft zu stehen und einen Blick hineinwerfen zu dürfen.

11. KAPITEL
    M ilane und Weihe:
Die anmutigen Flugkünstler. Diese schlanken, wohlproportionierten mittelgroßen Vögel haben lange Flügel und Schwänze und einen besonders anmutigen Flugstil. Die Flugmanöver der Milane kann man als akrobatisch bezeichnen – wenn man sie dabei erleben darf, wie sie Insekten aus der Luft über der weiten Ebene fangen. Normalerweise kann man sie sehr gut an ihrem besonderen Gefieder, ihrer Form und ihrem Flugverhalten von anderen Greifvögeln unterscheiden – besonders den Amerikanischen Schwalbenweih –, doch wenn sie zu weit entfernt sind, gibt es in der Unterscheidung zu anderen Vögeln manchmal Schwierigkeiten. Die Familie der Milane und Weihe beinhaltet den Amerikanische Schwalbenweih, den Mississippiweih und den Gleitaar
.
    Am folgenden Mittwoch lief Ella mit Harris vom Haus zur Klinik. Es war ihr erster Tag als Teil der Crew. Lijah und Maggie hatten sich angeboten, einen Blick auf Marion zu werfen, solange Harris Ella einen Crashkurs in Vogelkunde gab. Harris war wundervoll. Jede freie Minute hatte er damit zugebracht, mit Ella am Tisch zu sitzen und sie einzuweisen, während sie wie ein Student gepaukt hatte. Sie hatte die Anatomie der Vögel gelernt, die Fachbegriffe und die Abkürzungen, die verwendet wurden. Außerdem hatte sie einen Überblick bekommen, was verletzte Vögel brauchten und was im Gegensatz dazu die Dauerbewohner des Centers benötigten.
    Trotzdem fühlte sie sich in dem Moment, als sie das malerische, weiße Schindelgebäude mit