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Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Monroe
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wie wild versuchte, in ihren Handschuh zu beißen. Mit einem schnellen, präzisen Griff umfasste sie seine Beine, und als sie sie sicher hatte, streckte sie ihren freien Arm aus, um die Flügel an seinen Körper zu drücken.
    “Sehr gut! Sie haben ihn!” hörte sie Harris hinter sich sagen. “Jetzt holen Sie ihn aus dem Käfig, und halten Sie seine Krallen besonders gut fest. So ist es richtig”, sagte Harris und beobachtete jede ihrer Bewegungen.
    Ermutigt durch seine Anweisungen, führte Ella seine Befehle gewissenhaft aus.
    Er stand an der Seite, stemmte die Hände in die Hüften und grinste. “Glückwunsch, Ella. Gut gemacht.”
    Ella errötete und atmete erleichtert aus. In ihren Armen hielt sie diese wundervolle wilde Kreatur. Es war, und das wusste sie, ein seltenes Privileg.
    “Unglaublich, dass ich das geschafft habe”, sagte sie, vor Anstrengung ein wenig atemlos. Sie blickte auf den Vogel, den sie sicher hielt. “Schon immer habe ich Eulen geliebt. Als Kind habe ich sie immer in den Wäldern von Vermont gesucht. Ich schlich herum und hielt Ausschau nach ihren weißlichen Ausscheidungen an Bäumen oder nach Gewöllen auf dem Boden. Die Gewölle habe ich auseinander genommen und die kleinen Knochen der Nagetiere betrachtet. Manchmal konnte ich eine Eule in einem Baum schlafen sehen, aber meist nur aus der Ferne. Nie so nah wie jetzt. Das fühlt sich toll an!”
    Sie sah auf und bemerkte, wie er sie intensiv musterte, so als wolle er verstehen, wer sie war, und sie einschätzen.
    “Jedenfalls”, sagte sie in einem plötzlichen Anflug von Keckheit. “Ich denke, so schwierig war das gar nicht.”
    Als hätte der Vogel sie gehört, drehte er seinen Kopf weit herum und zwickte ihr kräftig in den Oberkörper.
    Ella keuchte vor Schmerz und taumelte zurück. Sie hielt das Tier mit festem Griff und versuchte verzweifelt, sich möglichst weit von dem gekrümmten Schnabel wegzulehnen, mit dem der Vogel immer noch nach ihr hackte.
    Harris machte einen Satz nach vorne und brachte den Kauz dazu, loszulassen. Das T-Shirt hatte sich zusammengezogen, doch Ella war nicht verletzt.
    “Sind Sie okay?”
    Ella schaute an ihrem Shirt herunter auf ihre zerschundene Haut. “Ja … ich denke schon.”
    “Ein Knutschfleck”, sagte Harris, während er eine Kapuze über den Kopf des Tieres zog.
    “Ja, toll”, murmelte Ella. Ihr Oberkörper schmerzte, und die Wut über den Vorfall und vor allem über sich selbst stach wie ein Dorn. “Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort.”
    “Sie haben das sehr gut gemacht, Ella. Sie sind ruhig geblieben und haben den Vogel gegriffen. Ich hätte zwar nicht gedacht, dass Sie prompt beim ersten Mal gebissen werden, doch uns allen passiert das früher oder später, also ist es nun offiziell. Sie haben die Prüfung mit Bravour bestanden.” Er lächelte sie so strahlend an, dass ihre Schmerzen schon viel weniger schlimm waren. “Willkommen im Club.”
    Einige Wochen später saß Harris mit Marion zusammen auf dem Wohnzimmerfußboden vor einem Spielbrett. Es war erst zehn Uhr am Morgen, aber sie hatten Lulu bereits ein Dutzend Mal an- und ausgezogen, hatten schon einige Partien Old Maid gespielt und die Puppenstube schon vor langer Zeit hergerichtet. Dies war die dritte Runde des Kartenspiels, und Harris glaubte, langsam aber sicher den Verstand zu verlieren.
    Marion jedoch schien sich sehr zu amüsieren. Sie brabbelte ununterbrochen vor sich hin wie eine Elster. Er konnte ihren nicht enden wollenden, verschachtelten Sätzen nicht folgen, und so drifteten seine Gedanken immer wieder ab. Ab und zu murmelte er ein automatisches “Ach, was” oder ein “Nein, wirklich?”, um Marion zu signalisieren, dass er zuhörte.
    Er dachte daran, was Ella wohl an diesem Morgen in der Klinik tat. Zwei Eulen – ein Streifenkauz und eine Kreischeule – waren am Tag zuvor mit schlimmen Augenverletzungen eingeliefert worden. Das linke Auge der Kreischeule sah so böse aus, dass es unwahrscheinlich war, es retten zu können. Und ein barmherziger Samariter hatte einen Fischadler den ganzen Weg von Beaufort her in das Center gebracht. Die Fischadler kamen gerade erst in den Süden, um Nester zu bauen und zu brüten, und dieses arme Tier war mit schwersten Verletzungen durch Angelhaken aufgefunden und hergebracht worden. Es war in ziemlich schlechter Verfassung und würde eine besondere Behandlung brauchen. Ob Ella damit zurechtkommt? fragte er sich. Wenn er doch nur für einige Augenblicke sehen

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