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Dem Himmel entgegen

Dem Himmel entgegen

Titel: Dem Himmel entgegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Monroe
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jetzt noch keinen Vogel behandelt hatte. Aber, mein Gott, sie war wirklich müde. Ihre Beine waren vom Herumstehen schwer wie Blei, und ihre Hände waren wundgescheuert. Der bloße Gedanke daran, auch noch das Abendessen zu machen, war heute unerträglich für sie. Wenn sie früher von der Klinik nach Hause kam, reichte es, wenn sie eine Schale Müsli aß. Doch jetzt musste sie auch für Marion und Harris sorgen. Ella hatte nun ein ganz anderes Verständnis für die Mühsal einer Mutter, die nebenbei noch arbeitete. Sie legte ihre Hand in den Nacken und begann, die Verspannungen wegzumassieren. Die letzten Augenblicke der Ruhe wollte sie festhalten.
    Doch in dem Moment wurde die Tür aufgestoßen und setzte der Stille ein jähes Ende. Überrascht drehte Ella den Kopf und erblickte Harris, der aus der kalten und regnerischen Nacht in die Klinik kam.
    “Hier sind Sie. Wir haben uns schon Sorgen gemacht.”
    “Ich habe nur noch etwas zu Ende aufgeräumt. Ist es denn schon sehr spät?”
    Sie hob ihre Hand, um einige widerspenstige Haarsträhnen zurückzustecken. In den letzten Tagen waren sie in der Enge der Klinik sprichwörtlich immer wieder aufeinander gestoßen. Er hatte die Fähigkeit, den Raum mit seiner Anwesenheit zu füllen und die Atemluft irgendwie rar zu machen. “Es tut mir Leid. Ich habe zum Saubermachen meine Uhr abgenommen.”
    “Es ist noch gar nicht so spät”, erwiderte er und schloss die Tür hinter sich. Seine Jacke tropfte, und er roch nach Regen. Als er seine Kapuze zurückschob, hafteten einige Tropfen des Regens an seinen langen Wimpern, während er seinen Blick über die blitzsauberen Tresen und Schränke gleiten ließ. “Sieht toll aus”, sagte er und schaute sie anerkennend an. “Wirklich, ich kann es kaum fassen. Sie haben die Klinik total verwandelt.”
    “Das ist Teil meines geheimen Planes. Nun bin ich die Einzige, die weiß, wo alles liegt, und jeder muss zu mir kommen, um mich danach zu fragen. Sehen Sie? Die totale Unentbehrlichkeit!” Sie tätschelte ihren Kopf. “Guter alter Yankee-Einfallsreichtum!”
    “Ich bin beeindruckt. Keine Kreuz-Kontamination mehr, stimmt’s?”
    “Darauf können Sie wetten.”
    “Ich muss zugeben, als Sie dieses Projekt gestartet haben, war ich ein wenig skeptisch – und sogar ein bisschen ärgerlich. Sie schienen mehr Arbeit zu machen, als dass Sie eine Entlastung darstellten. Aber jetzt …” Er nickte dankbar. “Ich sehe, dass es den Einsatz durchaus wert war.”
    Angesichts dieses Komplimentes errötete sie. “Das spart auch Zeit. Ganz zu schweigen von den Vogelleben, die es retten wird. Und darum geht es doch, oder?”
    “Ich wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen ist, Sie hierher zu bringen.”
    “Aber nur vorübergehend”, warf sie ein. “Ich bin immer noch keine Krankenschwester für Vögel.”
    “Noch nicht.”
    Er sah sie fest an, und Ella konnte ein Lachen nicht unterdrücken.
    “Wo wir gerade davon sprechen, ich muss eine Nachuntersuchung bei einem Streifenkauz machen, der vor einiger Zeit eingeliefert worden ist. Wollen Sie vielleicht Ihrer ersten Untersuchung beiwohnen?”
    “Jetzt? Heute?”
    “Eine bessere Gelegenheit wird sich nicht bieten. Es ist friedlich und ruhig.”
    Sie spürte, wie ihr Pulsschlag sich erhöhte. “Ich bin ziemlich müde”, versuchte sie sich herauszuwinden.
    “Es wird nicht lange dauern. Kommen Sie, Ella. Sie müssen ja irgendwann den Umgang mit den Tieren lernen. Dann können Sie ebenso gut jetzt damit beginnen.”
    Er komplimentierte sie in das Zimmer hinein, das die Intensivstation beherbergte. Einige Zwinger und Käfige standen auf den Regalen. Der Raum war erfüllt vom beißenden Geruch der Vogelexkremente. Ella schlang die Arme um sich, um ein Zittern zu unterdrücken.
    “Hier ist er. Nummer 2036”, sagte er und schlug das Tuch zurück, das vor dem Käfig hing.
    Der braun-grau gemusterte Kauz starrte sie durch die Gitterstäbe hindurch mit seinen großen, seelenvollen schwarzen Augen an. Sein linker Flügel war verbunden, genau wie sein Fuß, und trotzdem stand er aufrecht und still wie ein verwundeter Soldat und betrachtete aufmerksam jede ihrer Bewegungen.
    “Er ist wunderschön”, sagte sie.
    “Ja, ich liebe Streifenkäuze sehr. Die südlichen Vertreter der Familie sind zahmer als ihre Geschwister aus dem Norden. Der Gedanke, dass ihre Mütter ihnen die Manieren beigebracht haben gefällt mir. Er ist ein geeigneter Vogel, um zu lernen. Aber lassen Sie sich nicht

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