Dem Killer auf der Fährte
begreifen.«
Ich nahm den zweiten Brief zur Hand. »Hier steht: >nicht zufriedenstellend geantwortet<. Das klingt so, als hätte er reagiert, aber nicht so, wie sie es erwartet hat. Vielleicht hat er sie nur angerufen und gesagt, die Vorwürfe wären aus der Luft gegriffen. Wäre das nicht auch das naheliegendste gewesen, wenn er unschuldig war? Warum sollte er sich denn von Elaine befehlen lassen, zu ihr zu kommen, wann und wo es ihr paßt? Dieser erste Brief hier ist doch praktisch eine Vorladung. Wenn mir jemand so einen Brief schicken würde, würde ich sofort bei dieser Person anrufen und sie fragen, wovon sie eigentlich redet. Du nicht auch?«
»Ja, aber das hier ist etwas anderes. Bei Frauen gibt es so etwas nicht. Weibliche Therapeuten nutzen ihre männlichen Klienten einfach nicht sexuell aus. Es ist eine dieser Sachen, die Frauen nicht tun. So ähnlich wie Erdrosseln, wußtest du das? Das habe ich bei einer Konferenz über die Unterschiede zwischen den Geschlechtern gehört. Männer erdrosseln Männer. Männererdrosseln Frauen. Frauen erdrosseln niemanden.«
»Und es hat auch niemand Elaine erdrosselt.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Joel jemanden erdrosseln könnte«, überlegte Rita, »oder daß er überhaupt jemandem weh tun könnte. Er wirkt immer so ruhig und ausgeglichen. Und er kann so gut mit Menschen umgehen. Sogar Patienten, die schon fast psychotisch sind, fühlen sich bei ihm in der Regel sicher. Es fällt mir wirklich schwer, all das zu glauben, ganz besonders von Joel. Ich hatte immer den größten Respekt vor ihm. Sheila war eine Sache, aber das ist, nun ja... Offensichtlich hat Donna Elaine davon erzählt, und Elaine hat es Ben gesagt. Dann hat Ben es Sheila weitererzählt, und Sheila mir und Gott weiß wem noch alles. Es war also nicht so, daß Sheila bloß phantasiert hätte.«
»Vielleicht ist es aber auch gar nicht wahr. Könnte sich Donna Zalewski die Sache nur ausgedacht haben?«
Rita sah geflissentlich auf Kimi, die zur Abwechslung einmal friedlich unter dem Tisch zusammengerollt lag und schlief.
»Na schön«, sagte ich. »Du kannst nicht über Donna Zalewski sprechen. Aber fühlst du dich nicht ein bißchen verantwortlich ihretwegen? Das klingt jetzt sicher gemein, aber ich meine, du warst doch diejenige, die sie zu Joel Baker geschickt hat. Wäre es also jetzt nicht deine Pflicht, etwas zu tun, statt über das, was sie dir erzählt hat, immer nur zu schweigen?«
»Vielleicht«, meinte Rita nur.
»Na gut, denk' mal drüber nach.« Dann probierte ich einen Trick, den ich von Rita gelernt hatte. »Möglicherweise bist du noch nicht so weit«, sagte ich zu ihr, »aber in der Zwischenzeit kannst du mir doch einfach etwas über jemanden wie sie erzählen. Nicht über Donna Zalewski. Nur über so eine Art Mensch wie sie. Okay? Zum Beispiel glaube ich, daß es Frauen gibt, die sich einfach nicht von einem Therapeuten verführen lassen würden, egal was passiert. Frauen wie Elaine Walsh. Ach, ich weiß nicht, vielleicht ist sie ein schlechtes Beispiel. Jedenfalls gibt es solche Frauen. Und dann gibt es die anderen, die, bei denen ich jede Wette eingehen würde, daß sie sich rumkriegen lassen.«
»Es gab Fälle, wo den Frauen erzählt wurde, das sei Teil ihrer Therapie, und daß es für die Bewältigung ihrer Probleme notwendig wäre«, erklärte Rita.
»Ja, aber offensichtlich würde nicht jede Frau so etwas glauben. Du nicht und ich auch nicht.«
»Und manchmal wird die Gegenübertragung so stark, daß der Therapeut selbst machtlos ist. Es ist nicht immer ein Soziopath, der die Frauen nur ausnutzt. Manchmal ist es anscheinend so, daß diese Männer ehrlich glauben, sie wären in die Frauen verliebt. Und auf gewisse Weise sind sie das natürlich auch. Aber das ist keine Rechtfertigung. Es rechtfertigt so ein Verhalten noch nicht einmal ansatzweise.«
»Was ist eine Gegenübertragung?«
»Das ist, äh, es ist ein wenig kompliziert.«
»Das sind die Ausbildungsvorschriften des American Kennel Club auch.«
»Das ist ja wohl eine etwas andere Art von Komplexität.« Rita räusperte sich. »Also, es hat damit zu tun, wie der Therapeut auf den Klienten oder die Klientin reagiert, was er projiziert, und wie er die Beziehung verzerrt.«
»Das ergibt doch keinen Sinn«, widersprach ich. »Warum würde jemand zu einem Therapeuten gehen, der das tut? Ich meine, der Zweck der Übung ist doch psychische Gesundung, richtig?«
»Manchmal ist der Zweck der Übung einfach ein
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