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Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)

Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)

Titel: Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Zweifel entstehen.
    Frederik redet sehr leise, wie jedes Mal bisher, sein Blick bleibt dabei nach unten gerichtet. Nach langer Zeit hat er anscheinend erkannt, dass das Verhältnis zu seinem einzigen Freund nicht gut für ihn war: »Selbst nach dieser schrecklichen Tat habe ich sehr lange gebraucht, um einzusehen, dass das mit Andreas sehr schlecht war und seiner ganzen Familie das Leben gekostet hat.« Er macht eine kurze Pause, fügt dann hinzu: »Das ist schrecklich und daran werde ich nie etwas ändern können. Ich kann nur versuchen, in Zukunft ein ganz anderer und besserer Mensch zu werden.«
Mittwoch, 31. März 2010: Das Urteil
    Nach knapp einem halben Jahr, ein Jahr nach den Morden, nach 20 statt zwölf Verhandlungstagen, nach rund 60 Zeugenaussagen ist es nun soweit: An diesem Mittwoch wird die Große Jugendgerichtskammer das Urteil über Andreas H. und Frederik B. sprechen – zwei junge Männer, die vier Menschenleben ausgelöscht haben.
    Die Angeklagten werden zum letzten Mal in den Saal geführt, an Händen und Füßen gefesselt wie an jedem der Prozesstage, sie laufen hintereinander, schauen nicht auf. Ob die beiden »Todfreunde« ahnen, was für ein Urteil die Richter und Schöffen gefällt haben? Für Andreas wird es jedenfalls drastischer ausfallen, als er sich erhofft haben mag.
    Der Vorsitzende Richter verliest das Urteil: Andreas H. und Frederik B. werden wegen zweifachen Doppelmords und Diebstahls schuldig gesprochen.
    Obwohl beide zur Tatzeit Heranwachsende im juristischen Sinne waren, wird Andreas H. nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt. Das Gericht erklärt, dass H. zur Tatzeit bereits die Ausformung erfahren habe, die einen jungen Erwachsenen kennzeichne. Ausschlaggebend für das Urteil gegen Andreas H. seien die Schwere der Schuld und die in wesentlichen Teilen abgeschlossene Persönlichkeitsentwicklung sowie die »potenzielle Gefährlichkeit von H.«.
    »Das Bild, das sich der Kammer bietet, ist ein anderes als der despotische Vater, bei dem Andreas nichts galt«, sagt der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung. Es sei nicht erklärlich, warum vier Menschen sterben mussten. H. habe das Vermögen seiner Familie allein erben wollen und dafür den Mord an seinen Eltern und Schwestern kaltblütig geplant. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die Täter erst die Schwestern von Andreas H. erschossen. Danach besuchten sie die ahnungslosen Eltern in der Gaststätte und plauderten mit ihnen. »Es bedarf einer extremen Gefühlskälte, sich dieser Situation auszusetzen«, stellt das Gericht fest. Zudem zweifeln die Richter an, dass Frederik die Schüsse allein abgeben hat.
    Zusätzlich zur Höchststrafe erkennen die Richter bei Andreas H. auf besondere Schwere der Schuld und ordnen eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung an. Das heißt, dass nach Beendigung der Haftzeit geprüft wird, ob Andreas H. weiter eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Wenn dies so ist, bleibt er eingesperrt.
    »Andreas ist empathielos, er trägt narzisstische Persönlichkeitszüge«, begründet der Richter dies.
    Sein Komplize Frederik B. erhält die Höchststrafe nach Jugendstrafrecht – zehn Jahre. Bei ihm führten »verbleibende Zweifel an seinem Entwicklungsstand« zur Anwendung des Jugendstrafrechts. Doch trotz des Geständnisses gewährt die Kammer Frederik keinen Strafnachlass. Dafür seien zu viele Fragen offen geblieben, sagt der Vorsitzende Richter.
    Der Vorsitzende Richter ruft die Vierfachmörder am Schluss zu einer Therapie auf: »Sie tragen schwer an den Folgen ihres Handelns. Sie sind verantwortlich für die Tötung von vier Menschen, den Eingriff in die Lebensplanung anderer und die Erschütterung einer ganzen Region. […] Sie beide haben eine schwere Schuld auf sich geladen. […] Sie können, müssen und sollen an ihren Persönlichkeitsdefiziten arbeiten.«
    Andreas H. verlässt den Schwurgerichtssaal als Erster. Aber zum ersten Mal geht er nicht direkt hinaus. Er bleibt stehen, kurz vor seinem Freund Frederik, schaut ihn an, überlegt kurz und sagt dann: »Adé«.
    Auch Frederik will nicht gehen. Ungelenk begibt er sich zum gegenüberliegenden Tisch, wo die Nebenkläger – Angehörige des Mannes, den er nach eigenem Bekunden erschossen hat – stehen und entschuldigt sich. Dann will er ihnen die Hand geben, doch ein Justizbeamter hält ihn davon ab.
    Am Ende bleiben viele Fragen offen. Auch 60 Zeugen und ein erfahrener Gutachter haben es nicht vermocht, Licht in das Dunkel zu

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