Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
Zwischenzeit?
Aus allen Richtungen strömen nun Menschen nach Reudnitz, versammeln sich vor Michelles Schule. Sie bringen Blumen, Kerzen, Plüschtiere, Spielzeug mit; befestigen Botschaften an der Wand des Gebäudes. Auf ihnen steht auch »Tod den Kinderschändern«.
Zwei Straßen weiter gibt es eine kleine Kapelle. Am Abend des 21. Augusts findet hier ein Gottesdienst statt, der Pfarrer betet für Michelles Angehörige. Die Glocken läuten. Wieder kommen die Erinnerungen an Mitja hoch, den Jungen, der vor einem Jahr in Leipzig entführt und getötet wurde.
Auch Michelle wurde ermordet. Der Leitende Oberstaatsanwalt gibt dies am Abend auf einer Pressekonferenz bekannt. Man gehe von einem Gewaltverbrechen aus. Ob das Mädchen auch sexuell missbraucht wurde, will er nicht sagen, weitere Obduktionsergebnisse lägen noch nicht vor und die Veröffentlichung von Details, wie Todesart und Todeszeitpunkt, könne die Suche nach dem Täter erschweren.
Innerhalb kurzer Zeit wird ein Trauerzug organisiert. Man trifft sich vor der Schule, die Polizei sperrt die Straße ab, schnell wird ein Passieren unmöglich. Die Zahlenangaben zu den Teilnehmern variieren von 300 bis 500. Auch so genannte »Nationale Sozialisten« sind dabei. Sie tragen Plakate mit der Aufschrift »Tod den Kinderschändern«. Erst jetzt stellt sich heraus – ein Onkel Michelles ist in der neonazistischen Szene aktiv. Die Eltern des getöteten Kindes werden sich später davon distanzieren.
Sehr schnell sind auch Fahnen, Transparente, Megaphone und Fackeln herbeigeschafft. Der Marsch setzt sich in Bewegung, bei einem Zwischenstopp findet eine Kundgebung statt, Michelles Onkel spricht. Nach etwa 90 Minuten kommt der Zug wieder bei der Schule an, die Teilnehmer legen Blumen nieder und entzünden Kerzen.
Die Sonderkommission wird auf fast 180 Beamte aufgestockt. Vermehrt gehen Anrufe aus der Bevölkerung ein. Eine heiße Spur ist nicht dabei. Ein neues Fahndungsplakat wird gedruckt. Die Leipziger Polizei hat nunmehr eine Belohnung von 10000 Euro für Hinweise, die zur Aufklärung des Gewaltverbrechens an der achtjährigen Michelle führen, ausgesetzt.
Staatsanwaltschaft und Polizeidirektion Leipzig bitten um Mithilfe : Zur Aufklärung des Gewaltverbrechens an der achtjährigen Michelle [… ] werden 10000 Euro Belohnung ausgesetzt .
Bekannt ist
Michelle S. verließ am 18.08.2008, gegen 15:30 Uhr, di e Ferienspiele der 25. Grundschule in der Martinstraße .
Kurz darauf trennte sie sich an der Kreuzung Martinstraße/Oststraße von einer Mitschülerin und setzte ihren Weg in unbekannte Richtung fort.
Zu diesem Zeitpunkt trug das Kind ein gelbes T-Shirt, eine pinkfarbene Jacke, eine hellblaue Jeanshose und weiße Turnschuhe. Außerdem führte sie eine pinkfarbene Tasche mit sich.
Am 21.08.2008, gegen 12:30 Uhr, wurde Michelle tot in einem Teich im Naherholungsgebiet Stötteritzer Wäldchen (Oberdorfstraße) aufgefunden. Es wird von einem Gewaltverbrechen ausgegangen.
WER kann Hinweise zum Täter geben?
WER kann Hinweise zum Verschwinden von Michelle S. geben?
WER hat im Umfeld des Fundortes verdächtige Personen und/oder Fahrzeuge gesehen?
Hinweise bitte an die Kriminalpolizei Leipzig, […] sowie an jede andere Polizeidienststelle. Die Belohnung wird für Hinweise bezahlt, die zur Aufklärung der Tat oder Ergreifung der/des Täter(s) führen und wird unter Ausschluss des Rechtsweges zuerkannt. Sie ist nicht für Personen bestimmt, zu deren Berufspflichten die Verfolgung von strafbaren Handlungen gehört. Hinweise können im Einzelfall v e r t r a u l i c h behandelt werden.
Verfasser und Verleger PD Leipzig, Dimitroffstraße 1 in 04107 Leipzig.
Am Abend des 21. Augusts findet eine Pressekonferenz statt. Es gibt keine Spur von Michelles Mörder.
Ein Land jagt einen Mörder
Freitag, 22. August 2008
Dieser Freitag im August wird heiß, am Nachmittag erreicht die Temperatur fast 30 Grad. Die Sonderkommission »Michelle« besteht aus 177 Leuten – es ist die größte SoKo seit der Wiedervereinigung. Mit Hochdruck wird Material ausgewertet, werden noch immer die Bänder aus dem Überwachungssystem des Nahverkehrs gesichtet, werden vorbestrafte Sexualstraftäter überprüft.
Der Verfolgungsdruck ist immens und manch einer hofft, der Täter möge sich deswegen selbst stellen. Aber das tut er nicht.
In der Wohnung, in der Michelles Familie lebt, sind die Rollläden heruntergelassen. Am Hauseingang liegen Blumen, brennen Kerzen. Die Straße wirkt
Weitere Kostenlose Bücher