Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
verlassen. Michelles Eltern und Brüder werden abgeschirmt, sie sind in einem Hotel untergebracht, werden von Psychologen betreut.
Die Ermittler durchsuchen den leer gepumpten Weiher und das Stötteritzer Wäldchen. Noch immer fehlen persönliche Gegenstände von Michelle – ihre pinkfarbene Tasche, der rosa Kapuzenpulli.
Fallanalytiker (in den USA nennt man sie »Profiler«) versuchen, ein psychologisches Täterprofil zu erstellen.
Noch immer erfährt die Öffentlichkeit nichts darüber, wie Michelle genau gestorben ist, ob sie sexuell missbraucht wurde. Aus »taktischen Gründen« schweigt die Kripo zu diesen Details. »Je weniger der Täter über den Stand der Ermittlungen weiß, umso eher macht er Fehler«, erklärt ein Beamter dieses Schweigen.
Leipzig ist geschockt. Noch immer treffen sich Menschen vor Michelles Schule, legen Blumen vor die Einfahrt und auch vor das Wohnhaus der Familie. Die Grundschule wird inzwischen von den Medien belagert, jeder Fernsehsender will exklusive Bilder für die Nachrichten schießen, Anwohner werden befragt, Kinder und Eltern bedrängt. Gegenüber dem Schulgebäude stehen Übertragungswagen von N 24, Sat 1, RTL, nt v und der ARD . Allein der MDR ist mit vier Teams vertreten – MDR aktuell, Sachsenspiegel, Brisant und Dabei ab zwei/Hier ab vier . Auch die Zeitungen sind nicht müßig, die Leipziger Volkszeitung, BILD, Stern und Mitarbeiter großer Nachrichtenagenturen wie dpa oder AP sind vor Ort.
Morgen sollen an der Grundschule in der Martinstraße die neuen Erstklässler eingeschult werden – Lehrer und Eltern befürchten, dass die Veranstaltung zu einem medialen Hype »Michelle« verkommt. Vor allem die Kinder müssen geschützt werden. Eine Beratung vor Ort findet statt, an der die Lehrer der Schule, Mitarbeiter des Schulhorts, Vertreter der Bildungsagentur und Schulpsychologen teilnehmen. Das Vorgehen der kommenden Tage wird abgestimmt, insbesondere geht es um die Einschulung am Sonnabend und den Schulbeginn in der nächsten Woche.
Man einigt sich darauf, keine Interviews in der Schule zuzulassen, das betrifft auch die hier befindliche Trauerecke für Michelle, ihr Klassenzimmer und die Mitschüler. Eine Ausnahme wird für den einheimischen MDR gemacht – einmalig darf das leere Gebäude vorab von innen gefilmt werden.
Als Ergebnis der Besprechung gibt die Sächsische Bildungsagentur eine Pressemitteilung heraus.
Presseinformation vom 22.08.2008
Mit großer Betroffenheit versammelten sich das Lehrerkollegium der 25. Grundschule und die Erzieher des Hortes am heutigen Freitag. Im Mittelpunkt der Zusammenkunft stand das weitere Vorgehen an der Schule unmittelbar nach dem für alle schockierenden Gewaltverbrechen an der achtjährigen Michelle. Neben der Anteilnahme gegenüber der Familie gilt die Aufmerksamkeit und Fürsorge den Schülerinnen und Schülern der Schule, die in den nächsten Tagen eine besondere Zuwendung benötigen.
Ab Montag, dem ersten Schultag, sind vorgesehen:
Schulpsychologen der Sächsischen Bildungsagentur, Regionalstelle Leipzig, sind ständig vor Ort .
Für Schüler, Eltern aber auch Lehrkräfte gibt es spezielle Betreuungsangebote .
Eine Elterninformation zum Umgang mit möglichen Ängsten und Reaktionen bei den Mitschülern wird erfolgen .
Besonders die Konfrontation und der Umgang mit extreme n Situationen ist für Kinder nicht frei von problematischen Konstellationen. Die Lehrerinnen und Lehrer werden versuchen , mögliche traumatische Reaktionen zu verhindern und di e Schülerinnen und Schüler in der Trauerarbeit zu begleiten .
Ein offener Gesprächskreis wird organisier t.
Die Schulleitung und das Kollegium stehen de facto unter Schock und sehen sich nicht in der Lage, auf mögliche Medienanfragen zu reagieren. Sie haben die SBAL (Sächsische Bildungsagentur) gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen. Mit dem Blick auf die Einschulungen ergeht durch die Schule die eindringliche Bitte, die Einschulungsveranstaltung am Sonnabend nicht medial zu besetzen. Auch für den ersten Schultag wird um Zurückhaltung gegenüber den minderjährigen Schulkindern gebeten. […]
Die Polizei fahndet mit Hochdruck nach dem Täter. Allein acht Beamte der fast 180-köpfigen Sonderkommission werten das Videomaterial aus Bussen und Bahnen aus.
Seit Michelles Verschwinden am Montag wurden fast 1500 Personen befragt. Nach wie vor werden die Angaben der Sexualstraftäterdatei mit den Tatortspuren verglichen. Suchtrupps der Polizei haben bis jetzt fast 200
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