Dem Leben Sinn geben
selbst, um Weite im eigenen Inneren zu gewinnen und auf diese Weise dem Engwerden einer Beziehung und des eigenen Selbst zu entgehen. Manche ziehen sich hierzu für eine Weile in die Enge eines Klosters zurück und finden in der Abschottung gegen die äußere Welt wieder zu sich. Sich um ein wenig Freundschaft und Liebe zu sich, zumindest um ein Mögen seiner selbst zu bemühen, ermöglicht eine innere Integrität , die unabhängiger von der äußeren Welt und von Anderen macht. Aber nicht nur die von außen kommenden Einflüsse bedrängen einen Menschen und engen ihn ein, sondern auch die Affekte, die in ihm selbst entstehen. Um den Umgang mit ihnen zu erlernen, übt das Selbst sich am besten im Umgang mit den vergleichsweise harmlosen Launen, die kommen und gehen, wie es ihnen gefällt.
Problematisch sind dabei selten die guten Launen, ähnlich den angenehmen Affekten. Die Befreundung mit den schlechten Launen aber fällt leichter, wenn sie als willkommene Abwechslung gesehen werden: Sind sie nicht sehr erholsam? Sie verbrauchen weniger Energie als die guten Launen, die womöglich keine sind und nur zur Schau getragen werden, umeiner sozialen Norm zu entsprechen und lästigen Nachfragen zu entgehen: »Stimmt etwas nicht?«
Statt die Zugehörigkeit schlechter Launen zu einem sinnerfüllten Leben zu bestreiten, wäre es ratsamer, ein Menschenrecht auf schlechte Laune geltend zu machen. Dann lässt sich nicht nur im eigenen Inneren wieder freier atmen, auch außerhalb entsteht mehr Freiraum: Ohne größeren Aufwand sind mit schlechter Laune Andere auf Distanz zu halten, sofern es wünschenswert erscheint. Erforderlich wäre lediglich eine souverän gelebte schlechte Laune, um sie nicht beliebig um sich her zu verbreiten, sondern gezielt dort gewähren zu lassen, wo sie am Platz erscheint, ihre Wirkung auf Unbeteiligte aber abzumildern. Dies vorausgesetzt, ist es ein unvergleichliches Wohlgefühl, den Tag übelgelaunt beginnen zu können: Dieser Tag kann nur noch besser werden. Da Schlechtgelaunte meist etwas sorgenvoller durchs Leben gehen, sind sie auch eher gefasst auf das Ungute, das geschehen kann – und besser dagegen gewappnet; aus diesen Gründen verheißt zumindest die gelegentliche schlechte Laune sogar ein längeres Leben (Howard S. Friedman und Leslie R. Martin, Die Long-life Formel , 2011).
Auch sonst kann das Selbst einiges unternehmen, um aus seiner Enge, in die es von innen oder außen getrieben worden ist, wieder herauszukommen: Sich selbst etwas Gutes tun, um die eigenen Kräfte zu regenerieren. Sich eine Aufgabe suchen, um auf andere Gedanken zu kommen und dem Leben neuen Sinn zu geben. Ein ehrenamtliches Engagement übernehmen, um durch dessen Güte das Böse zu heilen, das jedenfalls als solches wahrgenommen wird. Sich in eine Arbeit stürzen, um sich dabei zu vergessen und ein anderes Leben vorzubereiten. Vor allem aber an einem Werk arbeiten, um mit längeremAtem etwas Anderes und eine andere Situation entstehen zu lassen: Im Werk ist Weite, die jede Enge relativiert. Anhaltende Anstrengung und tägliche Askese sind dafür erforderlich, in den Augen Anderer »für nichts«, aber das interessiert den nicht, der für sein Werk lebt. Die in der Enge aufgestaute Energie kann er vorzüglich für sein Vorhaben nutzen, das seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, sodass für die zwanghafte Aufmerksamkeit auf innere Launen und äußere Gegner und Feinde nichts mehr übrig bleibt. Es ist kaum möglich, einem Menschen den Atem abzuschnüren, der über solche Möglichkeiten verfügt.
Mit jeder Regeneration kehren ganz von selbst die kreativen Energien zurück, und die größere Beweglichkeit im weiter werdenden Selbst macht es möglich, das eigene Verhalten zu verändern , eine dritte Bedeutung der Kunst, das Weite zu suchen. Nicht immer ist der Andere, der Gegner oder der Feind das Problem, manchmal ist es auch das eigene Verhalten angesichts eines Unmuts, einer Kritik, einer Anfeindung. Über mein Verhalten aber verfüge ich ganz allein, die entscheidende Möglichkeit zur Einflussnahme darauf liegt bei mir, wenngleich das angeborene Temperament und die soziale Umgebung darauf einwirken. Ich selbst kann zuallererst etwas an dem ändern, was ich sage und mache, und es ist gut möglich, dass eine Änderung auf meiner Seite eine Änderung auf der Seite des Anderen, womöglich sogar in ihm selbst bewirkt.
An mir liegt es, davon abzusehen, mich am Anderen zu rächen, wofür auch immer. Die Wut, von
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