Dem Leben Sinn geben
Raum zu geben. Voltaires Candide (1759) gab dafür schon früh die Parole aus: »Nun aber müssen wir unseren Garten bestellen.« In der Geschichte der Moderne entwickelte sich aus diesem Impuls heraus die Schrebergartenkultur in kapitalistischen, die Datschenkultur in sozialistischen Gesellschaften.
Wo es zum Garten nicht reicht, kommt das individuelle Bedürfnis nach einer Beziehung zur Natur wenigstens in der Balkon- und Zimmerpflanzenkultur zum Ausdruck. Ein Zipfel des grünen Glücks der Nachhaltigkeit ist auf solche Weise auch in moderner Zeit erfahrbar und spendet erneut Trost in einer Zeit, in der die Folgen einer besinnungslosen Modernisierung spürbar werden, Erschöpfungszustände um sich greifen und der Widerwille gegen das ständige Angetriebenwerden wächst: Auch aus dieser Quelle speist sich die neue Liebe zur Natur.
Mit dem grünen Glück ist keine bloße Maximierung der Lust gemeint, die in Zeiten ihrer Minimierung scheitert. Nur zum Teil ist es ein Wohlfühlglück , weit eher sind Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit mit dem Glück der Fülle zu erreichen, das auf der Wahrnehmung der gesamten Fülle des Lebens in seiner Vielfalt und Gegensätzlichkeit beruht. Das nachhaltige Selbst bemüht sich um Inseln der Muße in allem Stress und lebt auf diese Weise den größeren Lebensgenuss vor, für den es keiner Luxusgüter bedarf.
Eine Fülle von Sinn wird durch die Natur auf allen Ebenen erfahrbar: Sinnlicher, gefühlter und gedachter Sinn. Der nachhaltige Mensch ist einer, der schaut, denn Schauen macht glücklich: Der sinnliche und gedankliche Blick auf das feinziselierte Wunderwerk der Natur und die zahllosen Erscheinungsformen, die sie hervorbringt, kann endloses Staunen hervorrufen – und Dankbarkeit dafür, dies sehen zu dürfen und selbst Teil davon zu sein; eine andere Seinsweise. Aus den vielen fein regulierten und weiträumig organisierten Zusammenhängen, die in der Natur sichtbar und erkennbar werden, geht ein starker Eindruck von Sinn hervor, und wo Sinn ist, da ist auch das Glück.
Auf ganz weltliche Weise hält die Natur selbst einen transzendenten Sinn bereit, denn der Mensch lernt Ressourcen in ihr kennen, die nicht von Menschenhand geschaffen worden sind. Er nimmt Kreisläufe wahr, in die nicht nur die einzelne Pflanze, sondern auch die gesamte Natur, nicht nur der einzelne Mensch, sondern auch die gesamte Menschheit eingebettet sind. So gewinnt er eine Vorstellung vom ewigen Werden und Vergehen, somit vom Sinn eines umfassenden Seins.
Sich als Mensch verstehen zu können, der diese Zusammenhänge sieht und auf sie achtet, ist die Basis eines sinnerfüllten Le b ens . Sie nicht zu sehen und sie zu missachten, befördert eher den Eindruck eines sinnlosen Lebens . Ein Grund für den verlorenen Sinn in moderner Zeit ist zweifellos das Nichtverhältnis vieler Menschen zur Natur. Auf die beunruhigende Frage nach Sinn kann die Liebe zur Natur jedoch eine beruhigende Antwort geben, denn sie macht existenzielle Zusammenhänge wieder bewusst. Die Aufmerksamkeit darauf bestärkt wiederum die Sorge um die Natur , denn wo Liebe ist, da ist auch Sorge, eine ängstliche wie fürsorgliche und vorsorgende Sorge, das gilt nicht nur für die Liebe zu sich selbst, zu Anderen, zur Familie und zu Freunden, sondern auch für die Liebe zur Natur. Wie sehr Menschen sich um das, was sie lieben, sorgen, zeigt schon die Liebe zur Balkon- und Gartennatur, wenngleich nicht zu jeder Stechmücke und Nacktschnecke.
Dabei ist die Beziehung zur Natur nicht abzulösen von der des jeweiligen Menschen zu sich selbst. Der Umgang mit der inneren Natur präpariert den Umgang mit der äußeren, und gerade der, der zu seiner inneren Natur eine Beziehung eingeht, kann auch zur äußeren eine finden. Eine nachhaltige Lebensführung kann eingeübt werden mit der Arbeit an der inneren Integrität , der Nachhaltigkeit in der Beziehung zu sich selbst. Aus der Antwort auf die Frage, welche Lebensweise mir schön und bejahenswert erscheint, ergibt sich der Wert, an dem ich meine Haltung und mein Verhalten orientieren kann: Kurzfristigkeit oder Dauerhaftigkeit.
Die innere Klärung ist die Voraussetzung dafür, mich auf veränderte Weise nach außen wenden zu können und an einer äußeren Integrität zu arbeiten. Verstehe ich mich als weites Selbst , das über seine unmittelbare Umgebung weit hinausblicken will, bin ich eher in der Lage, meine Rolle in der weiteren Welt wahrzunehmen und mich vor dem Einschluss in eine allzu enge,
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