Dem Leben Sinn geben

eigene Welt zu bewahren. Mit der Anstrengung, mir eine umfassende Perspektive anzueignen, kann ich die Brücke zu räumlich weit entfernten Individuen, Lebewesen und Strukturen schlagen: Was haben die Menschen in der Arktis, was haben die Pinguine in der Antarktis mit meinem Verhalten hier und jetzt zu tun? Und ebenso in zeitlicher Hinsicht: Was trage ich in der Gegenwart dazu bei, für Menschen künftiger Generationen Möglichkeiten zu eröffnen oder zu verschließen? Kann ich sicher sein, dass nicht ich es bin, wenngleich in anderer Gestalt, der in hundert Jahren wiederkehrt und dabei vorfindet, was er in der Gegenwart selbst vorbereitet hat? »Nach mir die Sintflut«? Das wäre dann sinnlos.
    Bei der Nachhaltigkeit geht es zuallererst um die ökologische Frage , wie sich die Existenz des Menschen wieder in die Zusammenhänge der Natur, in eine ökologische Integrität eingliedern lässt. Hilfreich hierbei ist, die eigenen Gewohnheiten zu durchforsten, denn viele von ihnen sind ökologisch relevant, etwa der gewohnheitsmäßige Verbrauch von Stoffen und Dingen aller Art. Weit mehr als anonyme Mächte stehen alte Gewohnheiten einer nachhaltigen Lebensführung entgegen. In den Banalitäten des Lebens liegen die eigentlichen Verhängnisse verborgen. Aus einer neuen Liebe zur Natur folgt dann nicht mehr nur der erholsame Waldspaziergang, sondern die wache Aufmerksamkeit auf die eigenen Verhaltensweisen im Alltag: Wo belaste ich die natürlichen Zusammenhänge? In welchem Maß? Ist die Belastung vermeidbar? Wie sieht ein alltägliches Leben aus, das auf diese Zusammenhänge Rücksicht nimmt? Woher kommt das Wasser, das aus dem Wasserhahn fließt, wohin fließt es? Entstammt die Energie, die meine Wohnung erwärmt und beleuchtet, natürlichen Kreisläufen, oder werden diese jedes Mal unterbrochen, wenn ich den Lichtschalterbetätige? Wo kann ich selbst erneuerbare Energien und nachhaltige Techniken einsetzen, um deren Fortschritt zu befördern? Nicht in allen Räumen müssen immer alle Lichter brennen; energieeffiziente Kühlschränke, Geschirrspülmaschinen, Warmwasserbereiter sind teurer beim Kauf, sparen aber über Jahre hinweg viel Geld und Strom. Regionale Produkte müssen nicht energieaufwändig über weite Strecken mit Lastwagen und Flugzeugen herangeschafft werden. Die individuellen Antworten führen zu einem allgemeinen Fühlen, Denken und Handeln in längeren Zeiträumen.
    Nicht alles kann der Einzelne im Blick haben, nur das, was ihm selbst wichtig ist. Nicht die reine Lehre zählt, sondern der Kompromiss, der einen kleinen Schritt weiterführt. Der eigene Beitrag mag angesichts des Ganzen winzig klein erscheinen, aber er ist nicht nichts . Es lohnt sich, die unscheinbaren Alltagshandlungen auf ihre ökologischen Konsequenzen hin zu befragen, denn selbst bei kleinen und kleinsten Dingen, die vernachlässigenswert erscheinen, kann die dauerhafte Bewahrung von Zusammenhängen und somit der eigenen Lebensgrundlagen in den Blick kommen. Die moderne Zeit mag kurzatmig sein, aber es liegt am Einzelnen selbst, sie mit längerem Atem umzugestalten. Bewusst zu leben heißt in diesem Fall, das Leben auf eine Weise zu führen, die sich durch ein Gespür für nachhaltige Zusammenhänge auszeichnet. Jeder kann damit für sich ein Maß im Umgang mit Ressourcen und Techniken ausfindig machen, das ökologisch verträglich ist. Allerdings reicht das bloße Wissen um die Notwendigkeit von Veränderungen nicht aus, vielmehr bedarf es einer geduldigen, langwierigen Einübung veränderter Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die zur »zweiten Natur« werden.
    Auf Nachhaltigkeit zielt zudem die soziale Frage , wie angesichts der Dynamik der modernen Desintegration noch eine soziale Integrität mit gefühlten und gedachten Zusammenhängen zwischen den vereinzelten Individuen zustande kommen kann. Ein Bindemittel für die moderne Gesellschaft, in der viele Bindungen zerbrechen, kann die Sorge um Gerechtigkeit sein, die Einzelne und ganze Gruppierungen zu ihrem Anliegen machen, um der Kälte und Gleichgültigkeit, die Gesellschaft zersetzen, etwas entgegenzusetzen. Auch wenn es keine absolute Gerechtigkeit bei der Verteilung von Gütern, Lasten und Chancen geben kann, so doch eine relative , angewiesen auf das Engagement möglichst vieler Individuen beispielsweise gegen relative Armut in der Wohlstandsgesellschaft, gegen absolute Armut in der Weltgesellschaft. Gesellschaftliche Gerechtigkeit bedarf einer Nachhaltigkeit sozialer