Dem Leben Sinn geben
sein, nichts war zu bewahren, daher erreichte die Rede von der Nachhaltigkeit lange Zeit ihre Adressaten nicht (Ulrich Grober, Die Entdeckung der Nachhaltigkeit , 2010). Dieses Wort berührte viele Menschen nicht, es konnte ihnen nicht auf Anhieb etwas sagen, mit dem konkreten Leben hatte es scheinbar nichts zu tun. Wozu Nachhaltigkeit? Lebte es sich nicht besser ohne sie?
Erst als sich ökologische Probleme, insbesondere klimatische Veränderungen, stärker bemerkbar machten, stellte sich immer schärfer die Frage: Wie können Menschen darauf antworten? Andere Energien und Techniken sind dafür unverzichtbar, aber eine gründliche Antwort bedürfte einer anderen Beziehung zur Natur in einer anderen Moderne. Negative, verneinende Beziehungen wurden historisch bereits durchgespielt. Über Jahrhunderte hinweg erschien die Natur feindselig , auf Gedeih und Verderb musste sie bekämpft werden: »Macht euch die Erde untertan!« In moderner Zeit wurde die Natur vor allem funktional gesehen, als Ressourcenlieferantin zur Ausbeutung freigegeben und mithilfe von Wissenschaft und Technik menschlichen Zwecken dienstbar gemacht.
In fortgeschrittener moderner Zeit ließen Menschen es sich gar angelegen sein, die Natur aus ihrem Leben auszuschließen , wo immer es nur möglich war. Bestenfalls war sie noch der angenehme Fahrtwind, sofern das Autofenster überhaupt geöffnet wurde. Und schließlich wurde die Natur zum »Naturschutzgebiet«, in der Hoffnung, ihre übrig gebliebenen Reste in Reservaten einhegen und wieder aufpäppeln zu können: Äußerste Konsequenz der Abspaltung von der Natur, mit der sich ein rational denkendes Subjekt ( res cogitans ) von dem imRaum ausgebreiteten Objekt ( res extensa ) entfernte. Was René Descartes im 17. Jahrhundert erdachte, kommt unvermittelt noch im Begriff der »Umwelt« zum Vorschein, die in Wahrheit nicht um den Menschen herum, sondern mit jedem Atemzug, jeder Nahrungsaufnahme mitten durch ihn hindurchgeht.
Für eine nachhaltige, andere Moderne sind positive, bejahende Beziehungen zur Natur neu zu erproben, in Anlehnung an indianische und andere Kulturen, die bei allem Kampf mit der Natur immer auch an der Liebe zu ihr, der Freundschaft und Kooperation mit ihr festhielten. Ein neuer ökologischer Elan ergibt sich nur zum Teil aus der nüchternen Einsicht, dass die Aufmerksamkeit auf ökologische Zusammenhänge im eigenen Interesse liegt. Zum anderen Teil bedarf es einer gefühlten Liebe zur Natur, einer Physiophilie , in der die Gefühle aufleben, die Menschen im Kern berühren.
Wie für andere Lieben ist es auch für diese unerheblich, wer oder was das Geliebte »eigentlich« ist. Diese Liebe muss sich keine Natur zurechtmachen, wie sie nach menschlichen Maßstäben sein soll, sondern kann das Gegebene in seiner Eigenart anerkennen. Und auch dieser Liebe liegt nicht nur ein Gefühl, sondern auch eine Entscheidung zugrunde, aus der die Zuwendung und Zuneigung vielleicht erst hervorgeht. Dann aber kann die Kunst des Liebens im Hinblick auf die Natur in vielfacher Hinsicht praktiziert werden: Als Liebe zur Natur insgesamt oder zu einer bestimmten Natur, zur Sonne, zu frischer Luft, zu Tieren, zu einer Landschaft, zu einem Waldstück, zu einem Hain am Wegrand, zu einem bestimmten Baum, als dessen Freund sich ein Mensch fühlen kann, sodass ihm dessen Schicksal nahegeht (Alexandra, Mein Freund der Baum ist tot , Schlager, 1968). Menschen können von der Beziehung zu einer Pflanze wie von der zu einem Menschen sprechen, sichgenau an Ort und Umstände der ersten Begegnung erinnern und sich darüber freuen, wie die Zufallsbekanntschaft zur Liebe fürs Leben geworden ist. Es ist nicht sicher, ob Pflanzen fühlen können, aber es scheint gesichert zu sein, dass sie in der Lage sind, in ihren Zellmembranen zahlreiche Informationen zu verrechnen und auf Reize zu reagieren, wie auch eine streichelnde Hand sie ihnen vermitteln kann. Unabhängig davon, ob ihnen Würde und ein Wert an sich zukommt, können sie ihnen zugesprochen werden.
Alle Aspekte einer bejahenden Beziehung zur Natur können bei einer Liebe zum Garten durchgespielt werden. Diese Liebe geht durch die Sinne und speziell durch den Magen, denn die Natur nährt, und was selbst angebaut wurde, mundet auch am besten. Menschen brauchen Gärten, insbesondere moderne Menschen, von denen zumindest einige in dem Maße, in dem sie die Beziehung zur Natur im Laufe der industriellen Entwicklung verloren haben, danach suchen, ihr von Neuem
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