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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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schönen Lebens leisten, der nicht von vornherein festgelegt ist, sondern immer von Neuem das Nachdenken darüber anregt, ob das bestehende Leben schön und bejahenswert ist: Und wenn nicht, was wäre dafür zu tun? Das schöne Leben zeichnet sich nicht durch die Perfektionierung des Positiven aus, sondern durch die Bejahung der Spannung zwischen positiven und negativen Erfahrungen, die die Fülle des Lebens ausmachen, das Atmenkönnen zwischen Lust und Schmerz, Freude und Ärger, Erfolg und Misserfolg, Gesundheit und Krankheit, deren Gegensätze allenfalls zu mäßigen, aller Erfahrung nach jedoch nicht aus der Welt zu schaffen sind.
    Nur das Leben, das in irgendeiner Weise schön erscheint, kann geliebt werden, weniger schöne Aspekte und leidvolle Erfahrungen mit einbezogen, die ein Mensch zumindest im Nachhinein bejahen kann, wenn ihm klar wird, dass er ihnen wichtige Einsichten und Reifungsprozesse verdankt und durch die tiefe Irritation hindurch seinen Weg neu finden konnte. Wahre Schönheit zeigt sich oft erst nach unschönen Zeiten. In der Gegenwart ist das Leben, von gelegentlichen Verdichtungen abgesehen, porös , es weist Leeren, Lücken, Mängel auf. Beim Blick zurück erst wird die Fülle sichtbar, wenn die leeren Stellen und unbedeutenden Beiläufigkeiten, die »Akzidenzien«, verschwunden sind. Übrig bleibt die »Essenz«, die als wahres Leben gilt, und auch das, was zuvor noch störte, passt jetzt ins Bild.
    Dreh- und Angelpunkt der Beziehung zum Leben ist die Haltung zu seinen schwierigsten Bedingungen: Kann ich die Polarität des Lebens akzeptieren, oder versuche ich sie zu negieren? Die Polarität kommt nicht etwa nur in einzelnen Aspekten zum Vorschein, vielmehr zeigt sie sich von Anfang an und durch das ganze Leben hindurch, wenn die Zufälligkeit , insbesondere der nicht willkommene Zufall, hartnäckig jeder Berechenbarkeit widerspricht. Sie zeigt sich in der Widerständigkeit , mit der andere Menschen und Dinge immer wieder den eigenen Wünschen und Interessen entgegenstehen. Und sie wird schmerzlich erfahrbar bei der Unabänderlichkeit , wenn etwas im Leben jedem Versuch zur Veränderung widersteht und keine Ausweichmöglichkeit offensteht. Eine unabänderliche Erscheinungsform der Polarität ist vor allem das Werden und Vergehen , dem die Existenz als Ganzes unterworfen ist, zwischen der Natalität , unter Bedingungen geboren zu sein, die nicht nachträglich beeinflusst werden können, und der Mortalität , die jedes Leben, einmal begonnen, enden lässt, zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Umständen auch immer, wie Robert Gernhardt dies im Gedicht Später Spagat 2006 angesichts des eigenen Todes in schlichte Worte fasste:
    Trägst den Tod in dir?
    Trägst schwer.
    Tod ist nicht irgendwer:
    Wiegt.
    Stirbst wie nur je ein Tier?
    Nimms leicht.
    Tod wird durch nichts erweicht:
    Siegt.
    Die Erscheinungsformen der Polarität, Zufälligkeit, Widerständigkeit, Unabänderlichkeit, Natalität und Mortalität summieren sich zum Schicksal , das Menschen immer schon herausgefordert hat, von wem oder was auch immer »geschickt«. Schicksal, fatum , bezeichnet das, was nicht in der Macht des Betroffenen steht, aber machtvoll auf ihn Einfluss nimmt. Fatal ist, was unabwendbar ist, entweder von vornherein, a priori , wenn es nicht nach Belieben geändert werden kann, sodass der jeweilige Mensch seinen Weg gehen muss, ob er will oder nicht; oder im Nachhinein, a posteriori , wenn etwas, das geschehen ist, nicht mehr zu ändern ist, mit »fatalen«, meist unangenehmen, vielleicht sogar schlimmen Folgen. Eine Krankheit kann bis zu einem bestimmten Punkt beeinflusst werden und heilbar sein; wenn aber nicht mehr, wird sie definitiv zum Schicksal, unabhängig davon, ob sie aus dem Zufall einer Infektion oder irgendeiner bekannten oder unbekannten Notwendigkeit resultiert.
    Neben den individuellen Bedingungen etwa einer genetischen Disposition kommen dabei soziale und ökologische Bedingungen des Ortes, der Region und der Gesellschaft als schicksalhaft in Betracht, auch globale Bedingungen der Weltgesellschaft und des Planeten, vielleicht sogar kosmische Bedingungen der Sterne, die auf das Leben des Einzelnen Einfluss nehmen. Schweigsam hält im Kosmos, den ich nächtens vor mir sehe, jedenfalls eine bestimmte Konstellation von Sternen den Stern Sonne auf seiner Bahn, die Sonne wiederum den Planeten Erde, die Erde wiederum den Menschen auf ihrer Oberfläche, auf der er einigen Bedingungen des Lebens

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