Dem Leben Sinn geben
Menschen und anderen Wesen ist Fairness ein Kriterium für Gerechtigkeit, warum nicht auch in der Beziehung zum Leben? Wie stünde es um die Liebe, Freundschaft und Kollegialität, wenn ich dem jeweiligen Menschen sagen würde, seine positiven Seiten seien mir willkommen, seine negativen aber könne er für sich behalten? Und wenn der Andere das mir sagen würde?
Der Maßstab der Fairness in der Beziehung zum Leben fordert dazu auf, dem Leben gerecht zu werden und seine gegensätzlichen Seiten anzuerkennen, um nach einem lebbaren Umgang damit zu suchen. Würde eine wachsende Zahl von Menschen sich darauf einlassen, könnte aus der schicksalsblinden Kultur der Moderne noch eine schicksalsbewusste werden, die sich darüber im Klaren wäre, dass es trotz aller Machbarkeit verhängnisvolle Zusammenhänge gibt und dass der Schmerz, den sie verursachen, nicht immer aufzuheben ist: Davon erzählt Max Frisch in seinem Roman Homo faber (1957), in dem sich der technisch orientierte, rationale Mensch inmitten der modernen Welt mit einer Tragik von antiken Ausmaßen konfrontiert sieht.
Spätestens dann, wenn das Fatum endgültig zum Faktum wird, stellt sich die Frage nach dem Umgang damit. Von der verneinenden oder bejahenden Beziehung zum Leben hängt die Antwort darauf ab: Hass auf das Schicksal , geleitet von Wut auf das Leben, liegt nahe, wenn dem Leben die Schicksalhaftigkeit angelastet wird, als wäre es ein ansprechbares Gegenüber, auch wenn alle Auflehnung und Ablehnung am Geschehen nichts ändern kann. Dann neigt ein Mensch dazu, lebensböse zu sein und im offenen oder stillen Kampf gegen die schicksalhafte Fremdbestimmung und ihre wirklichen oder vermeintlichen Sachwalter verbittert alle Kräfte zu verausgaben.
Liebe zum Schicksal ist möglich, wenn ein Mensch mit all dem einverstanden sein kann, was nicht zu ändern ist. Dann neigt er dazu, von Grund auf lebensgut zu sein, sich dem Leben zu fügen und sich im Zweifelsfall zu sagen: »Das ist mein Schicksal, ich habe es mir nicht ausgesucht, aber ich will damit leben, statt vergeblich dagegen anzuleben.« Liebe wird hier zur Kunst, sich dem hinzugeben, was hingenommen werden muss, sei es eine ungeliebte Aufgabe, eine unabweisbare Verpflichtung, eine schicksalhafte Unabänderlichkeit, und nicht nur zu wollen , was man muss, sondern es auch zu lieben , um alle Kräfte dafür zur Verfügung zu haben, gut damit umzugehen. Zu dieser Liebe wollte Nietzsche sich ermuntern: »Amor fati: das sei von nun an meine Liebe!« Im Notwendigen wollte er fortan das Schöne sehen und irgendwann »nur noch ein Ja-sagender sein« ( Fröhliche Wissenschaft , 1882, 276).
Und was gibt den Ausschlag dafür, lebensgut oder lebensböse zu sein? Ist selbst das noch schicksalhaft vorherbestimmt? Wie andere Lieben, die außer auf Gefühlen auch auf einer Entscheidung beruhen, braucht die Liebe zum Leben, die das dynamische Zentrum der Kunst des Liebens bildet, Mut , um »den Anfang zu machen« und es mit dem Leben zu wagen.Ein großes Wohlwollen für das Leben geht daraus hervor. Mit Mut gelingt es, beängstigenden Ungewissheiten, negativen Möglichkeiten von Misserfolg, Enttäuschung, Verletzung, Schmerz, Krankheit, Leid und Tod zu begegnen. Und woher kommt der Mut? Aus einer Ausstattung von Natur aus, aus der umgebenden Kultur , aus dem Beispiel Anderer und dem Mut, den sie unter Beweis stellen. Mutig macht die Arbeit des Selbst an sich, um mit sich ins Reine zu kommen, der Glaube , der jede Art von Leben als Geschenk begreift, die Hoffnung , die auf ein anderes und besseres künftiges Leben setzt. Immer resultiert Mut daraus, eine Gewissheit in sich zu spüren, die größer ist als jede Ungewissheit, auch wenn diese nie völlig zu überwinden ist und es nicht einmal Sinn hat, sie überwinden zu wollen: Sie spornt immer wieder dazu an, eine neue Gewissheit zu finden, die besser begründet ist als die vorherige.
Erfolg macht mutig, bei allen Gefahren des Übermuts, ebenso jedoch Misserfolg , mit einem trotzigen »jetzt erst recht«, und äußerstenfalls bleibt noch der Mut der Verzweiflung übrig, wenn nichts mehr zu verlieren ist. Ein Mensch kann sich außerdem spontan einen Ruck geben und daraus den Mut zur Entscheidung beziehen, die Liebe kann ihm dabei helfen: Lady Windermere hat es eben noch strikt abgelehnt, eine existenzielle Entscheidung zu treffen: »Ich habe nicht den Mut dazu«, bekennt sie, als Lord Darlington sie drängt, nicht länger ihrem treulosen Mann treu zu bleiben und
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