Dem Leben Sinn geben
der sinnlichen Verführungskraft des Lebens nachgibt, stellt sich die Frage nach dem Sinn des Lebens nicht mehr, ein sicheres Indiz dafür, im Besitz einer Antwort zu sein. Würde ein Mensch aber nichts mehr sehen, hören, riechen, schmecken, tasten können, fände er sich in einem schwarzen Nichts wieder, in dem er nicht lange überleben könnte.
Eine nachhaltige Energiequelle mit sinnlichen Momenten und starken Gefühlen ist der seelische Sinn , der gefühlte Zusammenhang mit Anderen und der Welt. Gefühle für Andere und von Anderen für das Selbst intensivieren das Leben,da sie Zugang zu zusätzlichen Energien eröffnen und Mut machen. Bejahende Beziehungen zu Anderen in Form von Liebe, Freundschaft und Kollegialität fordern die Bejahung des Lebens geradezu heraus und für manchen ist damit die Frage nach dem Sinn bereits beantwortet (Terry Eagleton, Der Sinn des Lebens , 2007). Was die frei werdende Energie zu bewirken vermag, ist am stärksten in Zeiten der Verliebtheit erfahrbar, in denen alles heller, liebenswerter, rosiger erscheint und der Liebende am liebsten »die ganze Welt umarmen würde«, obwohl nicht die Welt selbst rosiger geworden ist, nur der Zustand des Liebenden selbst. Die gleiche Welt erscheint mit der Entbehrung der Liebe dunkler, liebloser, schwärzer , das Leben versinkt in Sinnlosigkeit, und doch haben nicht Leben und Welt, nur der Liebende selbst sich verändert: Mit dem Sinn-Zusammenhang der Liebe ist ihm alle Kraft, aller Mut abhandengekommen, Leben und Welt noch anders zu sehen.
In abgemilderter Form ist dies gleichermaßen in der Freundschaft und Kollegialität erfahrbar, während bei verneinenden Beziehungen der Auseinandersetzung und des Ausschlusses Sinn allenfalls noch negativ aus Ärger, Zorn und Verzweiflung zu destillieren ist. Bestenfalls ein Hauch von Sinn ist funktionalen Zusammenhängen abzugewinnen, wenn sie leisten, was Menschen vom Leben, von Anderen und von sich selbst erwarten, nämlich reibungslos zu funktionieren. Jeder Mangel an Funktionalität aber zieht prompt einen Verlust an Sinn und Kraft nach sich, Entmutigung ist die Folge.
Eine reichhaltige Energiequelle offeriert darüber hinaus der geistige Sinn , die gedankliche Herstellung von Zusammenhängen: Menschen können sich ermutigen mit Gedanken, die sie sich selbst über das Leben machen, auch mit Gedanken Anderer, die sie aufgreifen, um über das Leben nachzudenken unddanach zu fragen, was eigentlich Leben ist. Eine platonische Liebe zum Leben wird möglich, wenn es gelingt, Zusammenhänge besser zu verstehen und sich einen Begriff des Lebens zurechtzulegen, mit dem sich gut leben lässt. Ein mögliches Verständnis des Lebens ist, dass zu seinen Eigenarten Polarität zählt, ohne die es an Kontrasten fehlen würde und die Spannung zwischen Gegensätzen entbehrt werden müsste, die immer neue Kräfte für die Lebensbewältigung zur Verfügung stellt. Wer den Grundzug der Polarität akzeptiert, muss vom Leben nicht mehr erwarten, Gegensätze zum Verschwinden zu bringen, und kann sich stattdessen darauf konzentrieren, sie abzumildern und auszuhalten. Er kann damit einverstanden sein, neben dem positiven gelegentlich den negativen Pol des Lebens wieder touchieren zu müssen. Im Gegenzug kann er zu negativen Erfahrungen die positive Seite wieder suchen, zur Überspannung des Geistes die Entspannung des Körpers, zu Arbeitszwängen die erholsame Muße, zur Pflichterfüllung die Freiheit einer selbst gestellten Aufgabe, zur Demütigung durch einen Misserfolg die Ermutigung durch ein Erfolgserlebnis, zur Fremdheit einer anderen Kultur die Vertrautheit der Heimat, zum Schicksal einer Krankheit die Schönheit einer künstlerischen Ausdrucksform.
Die Liebe zum Leben wird von Zielen beflügelt, die in Gedanken vor Augen stehen, und von Zwecken, für die zu leben sinnvoll erscheint. Ziel und Zweck ( telos im Griechischen) sorgen für teleologischen Sinn und bestärken die subjektive Gewissheit: Was ich mache, ist für etwas gut, und mein Glück besteht darin, zu wissen, was es ist, wofür ich lebe, arbeite, vielleicht auch leide. Ein Teil der persönlichen Sinnfindung und Sinngebung besteht darin, sich über dieses Wohin, Wozu, Wofür klarer zu werden und für den Prozess der Klärung vielleichtfreundschaftliche oder professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Fortan lässt sich sehr viel für das vorgestellte schöne Leben tun: Eine Aufgabe zu erfüllen, die gerne übernommen wird; einer Pflicht nachzukommen, der
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