Dem Leben Sinn geben
unheimlich abgründig ist und der Tod das Leben begrenzt, mehr noch, dass ein Leben ohne Tod wohl tödlich langweilig wäre.
Was auch immer die Gründe für das Bedürfnis nach Trost im Einzelfall sein mögen – im Grunde handelt es sich wohl immer um energetische Gründe . Trost braucht der, dem Lebensenergie abhandengekommen ist. Mit dem Trost gewinnt er Energie, fasst wieder Vertrauen zu sich und Anderen, zum Leben und zur Welt. Was geschehen ist, kostet Kraft, und Trost bewirkt eine neuerliche Zufuhr von Kraft, die heilsam wirkt und dem Selbst eine innere Festigkeit wie ein Baum verleiht (im englischen tree hat sich die indogermanische Herkunft des deutschen Wortes »Trost« erhalten). Findet ein Mensch aber keinen Trost, bleibt er heillos allein mit seiner Verletzung, seinem Schmerz und seiner Verzweiflung: Die Trostlosigkeit ist gleichbedeutend mit Kraftlosigkeit.
Entscheidend für eine Antwort auf die Frage, was Menschen trösten kann, ist also der Zugang zu Energien , den siesich verschaffen oder der ihnen von Anderen verschafft wird. Energien müssen fließen, um erfahrbar zu werden, fließen aber können sie dort, wo Zusammenhänge sind, die »Sinn« genannt werden. Noch einmal kommt damit Sinn ins Spiel, und erneut auf allen Ebenen, auf denen er gefunden und dem Leben gegeben werden kann: Sinn tröstet , darin besteht das Wesen des Trostes. Sich das ganze Panorama des möglichen Sinns zu vergegenwärtigen, ist hilfreich, um für sich herauszufinden: Was kann mich trösten? Und wie kann ich versuchen, Andere zu trösten?
Trostreich sind zuallererst die sinnlichen Erfahrungen , die sehr viel Sinn bereithalten, da sie Zusammenhänge zwischen Selbst und Welt, Selbst und Anderen herstellen und mit Lüsten und Genüssen bestärken, wenigstens für einen Moment, sofern die Schmerzen nicht sämtliche Sinne betäuben. Viele sinnliche Eindrücke erscheinen schön und bejahenswert, und diese Schönheit tröstet , auf vielerlei Art: Ein Augentrost sind Blumen, Farben, ein schöner Anblick, eine schöne Umgebung, die keine »trostlose Gegend« ist, ein gemütlicher Raum, ein Ort, der mit schönen Erfahrungen verbunden ist, ein Naturerlebnis. Trost vermittelt jeder sinnliche Umgang mit schönen Dingen, und seien sie noch so unscheinbar, kunstlos oder kunstvoll, neu oder seit langem schon vertraut (Daniel Miller, Der Trost der Dinge , Berlin, 2010). Trösten kann ebenso ein bestimmter Duft, eine angenehme Berührung, eine Umarmung, eine gern gehörte Stimme, jede Art von Bewegung, Gehen, Rennen, Tanzen. Und nicht zuletzt tröstet ein gutes Essen, mit dem die Welt schon gleich wieder anders aussieht: Jeder Mensch kennt seine eigene Trostkost , viele finden bei Suppen und Süßigkeiten neue Zuversicht.
So sehr kann Sinnlichkeit trösten, dass manche sich kopfüber in diese Lüste stürzen, egal in welche. Es können ohne Weiteres einsame Lüste sein, denn nicht immer ist der Trost an gemeinsame Erlebnisse mit Anderen gebunden. Starken Trost gewähren jedoch Lüste eines guten Gesprächs und insbesondere erotische Lüste , die so intensiv sein können, dass sie eine bedrückende Situation völlig vergessen machen. Erotik ist die intime Erfahrung der Fülle des Lebens, die weltliche Erlösung von allem Kummer und allen Problemen der Welt. Daher liegt die Versuchung so nahe, sich »mit jemandem zu trösten«, nicht nur, aber auch in der Form von Sex: Sex tröstet (Charlotte Roche, Schoßgebete , 2011).
Mag sein, dass dieser Trost eine zeitliche Grenze hat, da alle Sinnlichkeit vergänglich ist und Gefühle wankelmütig sind. Aber wo sinnliche Zusammenhänge erfahrbar werden, setzen sie Kräfte frei, die inmitten der Endlichkeit aus einer Unendlichkeit zuwachsen. Das Einssein mit einem Anderen befreit den Einzelnen für einen Moment aus dem Gefängnis seiner momentanen Wirklichkeit, sodass es für ihn wieder möglich wird, im vollen Bewusstsein des Todes das Leben zu lieben.
Mit sinnlichen Erfahrungen ist außerdem meist seelischer Sinn verbunden, denn was sinnlich schön ist, macht auch gute Gefühle. Seelischer Sinn beruht vor allem auf den gefühlten Zusammenhängen einer Beziehung: Beziehung tröstet . Zumindest jede bejahende Beziehung zu Menschen, Wesen und Dingen bringt dies zustande, und zuallererst die Beziehung zu sich selbst: Wer sich selbst mag, findet bei sich bereits Trost. Und mehr noch in den Beziehungen zu Anderen: Menschen fühlen sich getröstet, wenn sie mit ihrem Schicksal nicht allein sind. Das
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