Dem Leben Sinn geben
macht den Erfolg von Selbsthilfegruppen aus, und das gilt erst recht für die Beziehung zu dem einen Anderen, der für mich da ist, mir zur Seite steht, meine Hand hält, über meineWangen streicht und in dessen Fürsorge ich mich aufgeben kann, wenigstens vorübergehend, bis ich wieder zu Kräften komme. Tröstlich ist das Wissen, dass da ein Mensch ist, dem ich nicht gleichgültig bin, bei dem Geborgenheit fühlbar wird, wenn ich bei ihm bin, und Vertrautheit, wenn ich ihn ansprechen und berühren darf.
Nicht nur am Ende des Lebens hat die Ummantelung durch einen Anderen Sinn, sondern immer dann, wenn ein Selbst nicht zur Sorge für sich in der Lage ist. Was tröstet, ist die Großmut , die in der Aufmerksamkeit und Einfühlung des Anderen zum Ausdruck kommt, ein wahres Geschenk. Trösten kann die Sanftmut , die eigene wie die des Anderen, die gleichsam mit Milch und Honig jede Härte und Bitterkeit vergessen macht. Tröstlich ist die Langmut , die Geduld, die ich für mich selbst aufbringe und mit der ein Anderer mir beisteht und in der bedrückenden Gegenwart einen völlig anderen Zeithorizont eröffnet. Trost vermittelt die Demut , mit der ich selbst und Andere etwas hinnehmen können, das sich ohnehin nicht ändern lässt. Und ein enormer Trost ergibt sich daraus, Andere trösten zu können: Aus dem Gefühl heraus, ihnen beistehen zu können, erwächst ein starker Zusammenhang mit ihnen.
Trostreich ist alles, was seelische Energien in Bewegung bringt und einen Menschen davon abbringt, sich in sich selbst zu vergraben: Das Weinen treibt nicht nur die Tränen, sondern auch die Energien der Seele aus dem Inneren hervor, das beklemmend eng geworden ist. Die Tränen sind ein Ausdruck des Schmerzes und zugleich eine Erfahrung des Trostes, denn sobald sie geweint sind, wird einem Menschen wie von Zauberhand plötzlich »ganz leicht ums Herz«. Etwas Ähnliches geschieht beim Lachen , das das Innere nach außen kehrt und nicht einfach nur Ausdruck einer oberflächlichen Fröhlichkeit,sondern einer abgrundtiefen Heiterkeit ist, die mit der Traurigkeit verschwistert ist. Reichen Trost bietet der Humor, der es ermöglicht, sich aus einer festgefahrenen Situation herauszukatapultieren und sie wie von außen zu sehen. Zwar lässt sich der Humor im eigenen Selbst nicht beliebig herbeiwünschen, aber die Offenheit für den Humor Anderer ist jederzeit möglich.
Alle Kunst und Kultur tröstet damit, Gefühlen Ausdruck zu verleihen, insbesondere jede Art von Musik , in der sehr viel Energie spürbar wird: Sie vermittelt einem Menschen Sinn, da er sich in kunstvoll komponierte Zusammenhänge eingebettet fühlen kann, erst recht, wenn er die Musik selbst macht, selbst singt oder ein Instrument spielt. Ein einzelnes Musikstück kann voller Trost sein, etwa das gleichmäßige Dahinplätschern der 24 Préludes von Frédéric Chopin, ein Vorspiel für jede Stunde des Tages, Nachklang der wohltemperierten Präludien und Fugen von Johann Sebastian Bach: Im vollen Wohlklang kann die Seele mitschwingen, der Wechsel zwischen Dur und Moll gibt der ganzen Spannweite der Empfindungen eine Sprache. Alle Negativität, die erfahren worden ist, reduziert sich wieder darauf, Element einer Polarität zu sein, die nun mal die Bedingung des Lebens ist. Alles Aufbäumen legt sich, aller Schmerz erscheint aushaltbar unter dem Eindruck dieser Musik, deren genaue Bemessenheit dem aus den Fugen geratenen Leben ein Maß gibt. Nietzsche war sich sicher, dass es keinen Trost gibt außer »in Tönen« (Brief vom 22. Juni 1887 aus Sils-Maria an Heinrich Köselitz).
Mehr braucht ein Mensch eigentlich nicht fürs Leben. Und wenn doch, bietet der geistige Sinn Trost, das Denken und Deuten, das wirkliche und mögliche Zusammenhänge zwischen den herumliegenden Scherben des Lebens ausfindig macht,um ein Geschehen erklären und verstehen zu können. Nicht immer ist klar, warum etwas geschieht, denn das Geflecht kausaler Zusammenhänge ist kaum je vollständig zu entwirren. Fast immer aber lässt sich klären, wozu etwas gut sein kann, denn unabhängig von wirklichen können Menschen sich mögliche teleologische Zusammenhänge ausdenken, um daraus Kraft zu schöpfen. Trösten kann die Deutung, dass eine Herausforderung zu bestehen ist, dass das eigene Schicksal »für irgendetwas gut sein wird« und wenn schon nicht dem Selbst, so doch Anderen zugutekommt; dass es auch »schlimmer hätte kommen können« und dass grundsätzlich nicht nur positiven, sondern auch
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