Dem Leben Sinn geben
verleiht, wird bereits bei der Aufklärung über sexuelle Dinge erfahrbar, und diese Erfahrung lässt sich auf andere Bereiche des Lebens übertragen. Ein aufgeklärtes Verhältnis ist auch zu Illusionen möglich, wie Medien sie erzeugen, ein Popstar wie Kylie Minogue ist dabei behilflich, wenn sie offen gesteht: »Wir gaukeln ein wunderbares Leben vor, das es so nicht gibt« (Interview, 2010). Dass ein Wissen über Wirklichkeiten und alternative Möglichkeiten zum Ausgangspunkt für Veränderungen und Verbesserungen werden kann, davon waren die Aufklärer aller Zeiten überzeugt. Einer Aufklärung bedarf jedoch auch die Auffassung, dass nichts zu akzeptieren, alles zu optimieren, besser noch zu perfektionieren sei, wie manche Eltern dies mit ihrer Lebensführung und ihrem Erziehungsstil vertreten. In Wahrheit sind Dinge zum Teil veränderbar, zum Teil nicht: Erziehung kann dazu anleiten, diese Unterscheidung immer wieder neu zu treffen und mit beiden Varianten leben zu lernen.
Auf Aufklärung setzt die Erziehung außerdem, wenn sie, anstatt das kindliche Eigeninteresse zu bekämpfen, zu einem aufgeklärten Eigeninteresse ermuntert. Sie regt zur Einsicht an, dass ein engstirniger Egoismus dem Ich selbst am meisten schadet, denn wie könnte ich erwarten, dass Andere mir zurSeite stehen, wenn ich ihnen nicht zur Seite stehe? Wie fühle ich mich selbst, wenn Andere so mit mir umgehen wie ich mit ihnen? Der Sinn der Goldenen Regel, Andere so zu behandeln, wie ich von ihnen behandelt werden will, erschließt sich bereits durch Überlegungen, ansonsten aber durch Erfahrungen.
Aufklärung ist hilfreich, um Möglichkeiten zu erschließen, auf die es für Heranwachsende ankommt: Erziehung ist Ermöglichung. Um dieses Anliegens willen sieht der liebende Blick der Erziehenden durch die Wirklichkeit eines Kindes hindurch die Möglichkeiten, die »in ihm stecken«. Die erzieherische Liebe ist mehr als jede andere eine ontologische , alle Erziehung und Bildung dient dazu, Möglichkeiten zur Entfaltung zu verhelfen, die Heranwachsenden aber auch damit vertraut zu machen, dass nicht alles umstandslos Wirklichkeit werden kann. Damit sie sich nicht in Möglichkeiten verlieren, aus denen nie etwas wird, kommt es darauf an, einzelne Schritte zur Verwirklichung wieder und wieder gemeinsam mit ihnen zu gehen. Es ist sinnlos, ihnen abzuverlangen, was zu tun ist, ohne ihnen praktisch zu zeigen, »wie es geht«. Ohne das zugehörige Können geht alles Wünschen und Wollen ins Leere, kein Können aber versteht sich von selbst: Nur durch Einübung und Wiederholung kommt es zustande und verhilft zu Erfolgserlebnissen, die ihrerseits neue Möglichkeiten aufscheinen lassen.
Viele Möglichkeiten des Lebens mit Anderen wiederum tun Kinder und Heranwachsende selbst für sich auf: Sie gehen zusätzliche Beziehungen ein, die ihren Interessen entsprechen, und schließen Freundschaften, die ihnen andere Horizonte eröffnen. Der Umgang mit Gleichaltrigen macht andere Dinge möglich als der Umgang mit Erwachsenen, und in anderen Familien werden andere Welten erfahrbar als zuhause. Andere Welten erschließt auch der Gebrauch von Medien aller Art,sofern sie reich an Anregungen sind und nicht dazu verleiten, dem Leben nur noch von ferne zuzusehen und sich damit Möglichkeiten zu verschließen.
Die Schritte der Ermächtigung, Aufklärung und Ermöglichung auf dem Weg zu Freiheit und Lebenskunst werden ergänzt von der Sinngebung: Erziehung ist Sinngebung . Von Bedeutung sind dabei die verschiedenen Ebenen, die dafür zur Verfügung stehen. Sehr viel körperlicher Sinn entsteht durch die volle Entfaltung der Sinnlichkeit, die durch einfache Übungen der fünf Sinne im Alltag angeregt wird: »Hast du das schon gesehen? Hörst du die Vogelstimmen? Wie riecht dieser Morgen? Wie schmeckt das? Wie fühlt sich diese Oberfläche an?« Auch der sechste Sinn für Bewegung lebt von Anregungen: »Wollen wir gemeinsam rennen?« Der siebte Sinn für die innere Wahrnehmung von Energien ist auf eine Feinjustierung der zugehörigen Sensoren angewiesen: »Was sagt dir das Gefühl in deinem Bauch?«
Seelischer Sinn wiederum geht daraus hervor, die gesamte Bandbreite von Gefühlen kennenzulernen und ihnen Ausdruck geben zu können: »Zeig mir, wie du lachen kannst und wie du zornig bist!« Ganz von selbst entsteht seelischer Sinn in gefühlvollen Beziehungen, die aber eine Frage der Pflege sind: Erziehung vermittelt eine Wertschätzung von Beziehung, indem die Erziehenden
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