Dem Leben Sinn geben
widerständig zeigen können, sodass sie überzeugt werden müssen. So oft wie möglich sollte für die Kinder erfahrbar werden, dass die Erziehenden nicht immer nur erziehen wollen , sondern sich auch erziehen lassen ; dass sie Vorschlägen der Kinder folgen und ihnen zuhören, wenn sievon ihren Ideen, Erfahrungen, Beobachtungen, Befürchtungen und Überlegungen berichten. Zuhören ist Aufmerksamkeit und signalisiert, dass nichts von dem, was in den Kindern vorgeht und was sie erleben, gleichgültig erscheint. Endlich erfahren sie, dass Erwachsene offen sind für ihre Sichtweisen, statt immer nur eigene Sichtweisen zum Besten zu geben.
Grundelement einer Ethik der Erziehung ist außerdem die Selbstmächtigkeit der Erziehenden, die es ihnen ermöglicht, eine Machtausübung über die Kinder zu begrenzen und an Autorität zu gewinnen, ohne autoritär zu werden. Selbstmächtigkeit beruht auf dem gekonnten Umgang mit eigenen Schwächen, Gegensätzen und Widersprüchen. Sie macht es möglich, eine eigene Macht nicht zu verharmlosen und zu leugnen, sondern sensibel für ihre Auswirkungen zu sein. Gerade bei dem, der über mehr Macht verfügt, kommt es umso mehr auf die Fähigkeit zur Zurückhaltung an. Selbstmächtigkeit kann die Erziehenden davon abhalten, jedem Impuls zu folgen, der in ihnen wach wird, sodass sie beispielsweise eine unangemessene körperliche Berührung, und sei es in wohlwollender Absicht, vermeiden können. Auch im Hinblick auf seelische Berührung müssen Kinder nicht mit jeder Gefühlsaufwallung der Eltern konfrontiert werden. Die größeren Möglichkeiten zur geistigen Berührung mit Gedanken und Ideen müssen nicht dazu missbraucht werden, die Kinder »zuzutexten«. Und wo ein allzu großer Ernst entsteht, lässt er sich mit etwas Humor und alltäglichem Dadaismus, mit schrägem Blick auf die Situation und einem befreienden Lachen wieder austarieren.
Um das ins Auge gefasste Ziel der Erziehung , die Befähigung zu Freiheit und Lebenskunst, zum Umgang mit sich und Anderen zu erreichen, bedarf es einer Selbstmächtigkeit auch auf der Seite der Kinder und Heranwachsenden: Erziehung ist E rmächtigung . Sie brauchen eine Macht, mit der sie ihre eigene Macht über Andere begrenzen, aber auch eine eigene Macht gegenüber Anderen geltend machen und beispielsweise die Machtausübung der Erziehung mäßigen können. Zur Ermächtigung dienen Rechte der Kinder , mit denen sie vertraut gemacht werden und deren Realisierung die Erziehenden selbst, sodann aber die gesamte Gesellschaft und ihre Institutionen im Blick behalten. Die Kodifizierung der Rechte geht aus einer Ethik hervor, um die anfänglich Einzelne sich bemühen, bevor über die politischen Wahlakte vieler Menschen Gesetze daraus werden, die einer Machtausübung über Kinder von Rechts wegen Grenzen setzen. Eine weitreichende Ermächtigung der Kinder stellt die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen dar, die 1989 beschlossen wurde, mit der Erklärung eines Rechts auf Leben und eines Verbots von Diskriminierung, eines Rechts auf Umgang mit den Eltern und auf Meinungs- und Informationsfreiheit, auf Gesundheitsvorsorge und soziale Sicherheit, auf Schutz vor Ausbeutung und vor sexuellem Missbrauch. An der Umsetzung in den verschiedensten Mitgliedsländern wird noch gearbeitet.
Um den Umgang mit der eigenen Macht erlernen zu können, gehört zur Ermächtigung der Kinder jedoch auch die Ausbildung ihres Gespürs für Macht . Die erforderlichen Erfahrungen machen sie, wenn sie in wachsendem Maße an Entscheidungsprozessen beteiligt werden und die Auswirkungen eigener Handlungen kennenlernen. Sie brauchen Gelegenheit dazu, Probleme auf ihre Weise zu lösen, auch wenn die Erziehenden nicht die beste Lösung darin sehen, und über ein mit ihnen mitwachsendes Budget selbst zu bestimmen, um sich in den Umgang mit der Macht des Geldes einzuüben, auch wenn den Erziehenden manche Entscheidung falsch erscheint: NurUmwege, Abwege und Irrwege ermöglichen ein vielfältiges Lernen, eine Vorbereitung auf die Zeit der Wahl, die unweigerlich auf die Kinder zukommt.
Zu mehr Freiheit und Lebenskunst, zum gekonnten Umgang mit sich und Anderen verhilft ferner die Vermittlung von Wissen: Erziehung ist Aufklärung , um altersgemäß mit der Wirklichkeit vertraut zu machen, wie sie subjektiv und nach gegenwärtigem Stand des objektiven Wissens erscheint. Der, der weiß, wie etwas funktioniert, kann besser damit umgehen. Welche Macht ein Wissen über Leben und Welt
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