Dem Leben Sinn geben
Beziehung: Bereits in antiker Zeit sah Aristoteles in der Beziehung zwischen Mann und Frau eine naturgegebene Freundschaft, die »bekanntlich auch Nutzen und Lust« zu bieten habe (NE 1162 a 24). Bemerkenswert daran ist weniger die Redevom Nutzen , der sicherlich aus der wechselseitigen Unterstützung in allen Lebenslagen resultiert, mehr die Einbeziehung der Lust , die einst in außerehelichen Verhältnissen ihren Platz hatte. Bei einer ehelichen erotischen Freundschaft in moderner und andersmoderner Zeit, deren Protagonisten den Nutzen fürs Leben mit Erfahrungen der Lust zu verbinden suchen, kann der Schwerpunkt der Beziehung einerseits auf der lustvollen Erotik liegen: Aufgrund des freundschaftlichen Wohlwollens füreinander dürfte eine Einigung auf die Art und Weise des gemeinsamen Gebrauchs der Lüste nicht schwerfallen. Eine Wankelmütigkeit der Gefühle, die damit einhergehen kann, wird von der hinzukommenden Freundschaft aufgefangen. Wird andererseits die verlässlichere Freundschaft stärker hervorgehoben, kann sie je nach Verabredung durch lustvolle Momente zusätzlichen Reiz gewinnen, durchgängig oder gelegentlich, häufig oder punktuell. Es stärkt die Bindung, wenn die Erotik im ehelichen Rahmen beheimatet werden kann, die grundlegende Freundschaft erlaubt den Beteiligten aber zugleich mehr Selbstständigkeit. Nur das Fehlen jeglicher Freundschaft bedroht die Ehe im weiteren oder engeren Sinne: »Nicht die Abwesenheit der Liebe, sondern die Abwesenheit der Freundschaft macht die unglücklichen Ehen« (Nietzsche, Nachgelassene Fragmente von 1876/77, Kritische Studienausgabe , KSA 8, 427).
3. Außerehelich , als zusätzliche Beziehung neben einer bestehenden: Es gibt unterschiedliche Ansichten zur moralischen Bewertung von Zusatzbeziehungen, aber alle Moral ändert nichts daran, dass Männer wie Frauen sie keineswegs selten eingehen und anstelle einer diachronen, seriellen Polygamie eine synchrone »Polygamie in drei Wohnungen« verwirklichen (Wilhelm Genazino, Die Liebesblödigkeit , 2005, 24). Nicht immer ist dabei klar, was genau Haupt-, was Nebenbeziehung ist. Was auch immer die persönlichen Gründe für weitere Beziehungen sein mögen: Der ontologische Grund dürfte im Bedürfnis liegen, eine allzu eng gewordene Wirklichkeit durch neue Möglichkeiten aufzubrechen, die ein anderes, intensiveres Leben versprechen. Eine Zusatzbeziehung erlaubt, denjenigen Seiten im eigenen Selbst Luft zu verschaffen, die in der bestehenden Beziehung keinen Platz haben. Betont wird bei dieser Art der erotischen Freundschaft wiederum, je nach Bedarf, die Erotik mit mehr oder weniger Sex, oder aber die Freundschaft , die Vertrautheit mit dem zusätzlichen Anderen, mit dem Gefühle geteilt und Gespräche geführt werden können, die für wesentlich gehalten werden, in der bestehenden Beziehung aber zu kurz kommen. Könnte dafür nicht die bestehende Beziehung »nachgerüstet« werden? Zweifellos, wenn beide Seiten dazu bereit wären. Sollte das nicht möglich sein oder nicht attraktiv genug erscheinen: Wäre es dann nicht besser, die Beziehung aufzukündigen? Das würde jedoch einen Verzicht auf die Verlässlichkeit des Bestehenden erfordern und der Zusatzbeziehung den Reiz des Möglichen rauben, da sich ihre Wirklichkeit nun verfestigen müsste. Aus Gründen der Fairness sollte dennoch die Goldene Regel gelten, dass der, der eine Zusatzbeziehung beansprucht, seinem Gegenüber die gleiche Freiheit zugesteht. Sollte er nicht wollen, dass der Andere ihm die damit verbundenen Schmerzen und Verletzungen zumutet, sollte er diese umgekehrt auch ihm nicht zumuten.
4. Nachehelich , nach einer Trennung, wenn die bisherige Form der Beziehung gescheitert ist: Sobald die Schmerzen der Trennung überwunden sind und die vormals Liebenden sich von einseitigen oder wechselseitigen Erwartungen und Enttäuschungen befreit haben, wird eine Beziehung in andererForm möglich. Denn anders, als viele meinen, kann nicht nur aus Freundschaft Liebe, sondern aus Liebe auch Freundschaft werden. Synchron zu neuen Beziehungen können die und der »Ex« zu guten und sogar besten Freunden werden: Lou von Salomé, verheiratete Andreas-Salomé, und Rainer Maria Rilke versuchten sich erfolgreich daran, ihre amour fou sozusagen post festum in eine dauerhafte Freundschaft zu verwandeln (Gunna Wendt, Lou Andreas-Salomé und Rilke , 2010). Die Stärken eines jeden sind dem jeweils Anderen so geläufig wie die Schwächen, für die jetzt erst die Nachsicht
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