Dem Leben Sinn geben
sie von Interesse, beinahe mehr, als ihm lieb ist. Ohne zu wissen, was sie tun, stellen sie ihm damit Energie in reichem Maße zur Verfügung, beinahemehr als andere Quellen. Feinde wecken schier übermenschliche Kräfte, die nicht so schnell versiegen und von denen jeder, der einen Mangel an Motivation in seinem Leben und ein Manko an Inspiration in seiner Arbeit verspürt, dankbar Gebrauch macht. Der Ehrgeiz, »es ihnen zu zeigen«, spornt zu größten Anstrengungen an. Feinde, die Macht über mich haben, etwa in einer Firma oder Institution, wollen mich benachteiligen, aber ich mache mir einen Vorteil daraus und hole tief Luft für neue Projekte. Sie wollen mein Fortkommen behindern und stellen mich auf verlorenen Posten, aber ich übe mich darin, schwierige Situationen zu bewältigen. Auf wundersame Weise gelingt es mir jetzt, meinem Anliegen schärfere Konturen zu verleihen, es erkennbarer zu machen und damit vor den Augen Anderer besser dazustehen. Je mehr ich es schaffe, mein Können unter Beweis zu stellen, desto mehr sehen sich die Feinde mit ihren abartigen, abfälligen Vorurteilen ins Unrecht gesetzt und dem Gespött preisgegeben, was sie zwar zu neuen Untaten anstachelt, mich aber zu neuen Taten motiviert – ein perpetuum mobile , eine Maschine zur Produktion exzellenter Leistungen.
Vor diesem Hintergrund gewinnt das Wort Feindseligkeit erst seine volle Bedeutung: Feindschaft kann einen Menschen geradezu beseelen , seiner Existenz Seele, also Energie verleihen und Leben einhauchen. So angespornt, hält er sich mit immer neuer Arbeit an sich selbst, modern gesprochen, fit und fristet kein langweiliges Dasein mehr. Den Feinden verdankt er einen entscheidenden Beitrag zur Definition seiner selbst, denn in der Konfrontation mit ihnen wird ihm klarer, wer er nicht ist: »Ich bin nicht so wie die!«
Sich negativ über die Abgrenzung gegen Andere definieren zu können, fällt allemal leichter, als dies positiv aus eigenerKraft leisten zu müssen, und es funktioniert zuverlässiger, denn die Arbeit daran kann nicht endlos aufgeschoben werden: Der Feind schläft nicht. Stolz kann ihm dann die innere Festigkeit entgegengehalten werden, die ohne ihn kaum zustande gekommen wäre. Auf der Abhebung gegen gemeinsame Feinde beruhen ebenso Definitionen des Wir , die in Beziehungen der Liebe, Freundschaft, Kollegialität und sogar Funktionalität, zwischen zweien wie auch in Gruppen, Gruppierungen, Schichten und ganzen Gesellschaften aufwändigere positive Klärungen ersparen. Das ist nicht anspruchsvoll, aber wirkungsvoll: »Wir sind nicht so wie die. Gemeinsam behaupten wir uns gegen die, die uns in unserer Eigenheit bedrohen!«
Feinde versuchen, den Angefeindeten moralisch ins Abseits zu stellen, machen ihn aber gerade dadurch interessant. Lautstark gehen sie gegen seine Sicht der Dinge vor und halten das, was er vertritt, für altbacken und uninteressant, nennen vorsichtshalber keinen Namen, machen aber zuverlässig neugierig darauf, sodass Andere sich ihr eigenes Urteil bilden wollen: »Klingt spannend, muss ich mal googeln!« Je schwerer die Feinde einem das Leben machen, desto eher rufen sie das Mitgefühl Anderer hervor: »So schlimm kann der gar nicht sein!«
So gesehen ist es nicht wichtig, was Feinde sagen. Wichtiger ist, dass sie etwas sagen, dass sie nicht umhinkommen zu reagieren und Stellung zu beziehen, denn das verleiht dem Angefeindeten und seinem Anliegen mehr Relevanz: Es häuft den hermeneutischen Stoff an, der weithin sichtbar von einer Bedeutung kündet. Dass das oft in Form von Missverständnissen geschieht, ist nicht zu umgehen, denn das hermeneutische Potenzial des Verständnisses ist begrenzt. Missverständnisse und die unweigerlich darauf folgenden Auseinandersetzungen tragen hingegen zur weiteren Verbreitung einer umstrittenen Angelegenheit bei. Jetzt kommt es nur noch darauf an, die eigene Antwort auf Provokationen ebenfalls frei von Namensnennungen zu halten, um Feinden die Genugtuung zu versagen, sich persönlich gemeint fühlen zu dürfen. Vom Ärger, den sie verursachen, sollen sie nichts erfahren, um ihre destruktiven Energien nicht noch weiter zu nähren. Das Wissen um ihren Erfolg könnte sie in ihrer Feindschaft bestärken, aber es hat keinen Sinn, sich mehr Feindschaft zuzuziehen, als der eigenen Gesundheit zuträglich ist.
Die grundlegende Schwierigkeit des Spiels besteht darin, Andere erst einmal in die Situation zu manövrieren, in der sie keine andere Möglichkeit als die
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