Dem Pharao versprochen
tragen wird?
Selket behauptet, dass ich mir zu viele Gedanken mache. Sie meint, ich solle an gar nichts denken und mich nur ausruhen. Aber das kann ich nicht. Meine Gedanken sind wie Ameisen, sie krabbeln kreuz und quer durch meinen Kopf, ohne jemals eine Pause zu machen.
Ich frage mich, was ich falsch gemacht habe. Hätte ich mich anders verhalten müssen, während ich das Kind trug? Habe ich während der Schwangerschaft einen bösen Blick aufgefangen? Ich kann mich nicht daran erinnern …
In wenigen Tagen kommt Tut. Auch das macht mir Sorge. Eigentlich sollte ich mich freuen. Aber ich schäme mich so sehr, dass ich keinen Sohn zur Welt gebracht habe. Ich habe ihm nur eine Tochter mit einem Dämonenmal geboren, und sie ist gestorben. Ich habe versagt … Ich bin eine schlechte Gemahlin für Tut …
Selket und Meritamun haben die leere Wiege aus meinem Gemach entfernt, weil ich den Anblick nicht mehr ertragen konnte.
Eje hat mich überrascht. Vielleicht habe ich ihm die ganze Zeit unrecht getan. Er hat sich wirklich um mich gekümmert und mir alle Arbeit abgenommen, die mit der Bestattung meiner Tochter zu tun hat. Ich bin ihm sehr dankbar. Meiner Tochter soll es im Jenseits an nichts fehlen, sie soll ein würdevolles Begräbnis bekommen und alles, was sie im Jenseits braucht.
Eje meint, sie soll im Grab beigesetzt werden, das Tut für sich vorgesehen hat. Das halte ich für einen guten Vorschlag. Meine Schwester Maketaton war damals ja auch in dem Grab bestattet worden, das mein Vater Echnaton ursprünglich für sich und die ganze Familie hat bauen lassen. So bleibt die Familie auch nach dem Tod zusammen.
Ach, es ist so traurig! Manchmal bilde ich mir ein, dass meine Tochter hier in meinem Gemach ist. Ich kann ihr Weinen hören, aber so sehr ich auch den Raum durchsuche, ich finde sie nie. Manchmal kommt das Weinen aus der linken Ecke, dann aus der rechten, und dann wieder höre ich das Wimmern unterm Bett.
Ich habe Selket einmal gefragt, ob sie das Weinen auch hört, aber sie hat mich nur mit großen Augen angeschaut …
8. Kapitel Eine unerwartete Nachricht
Tut kam am selben Tag nach Waset, als Anche- senamun aus ihrem Wochenbett aufstand, sich ankleiden ließ und wieder die gemeinsamen Räume im Palast betrat. Sie war noch sehr blass, und ihr wurde leicht schwindelig, vor allem, wenn sie sich bückte. Selket riet ihr, ein wenig Röte auf die Wangen aufzutragen, damit sie gesund und blühend aussah, wenn Tut sie zum ersten Mal nach so langer Zeit erblickte.
Alle schwirrten um die Königin herum und verhielten sich so, als sei sie von einer langen Reise heimgekehrt. Niemand erwähnte das missgebildete Mädchen, jeder tat so, als habe es keine Geburt und kein Kind gegeben. Es herrschte ein fröhliches Geplapper, Dienerinnen liefen geschäftig hin und her, um den Raum zu schmücken und für Tuts Ankunft noch schöner zu machen. Tij war diejenige, die dirigierte und kommandierte; sie schickte die Bediensteten einmal hierhin und einmal dorthin, so, als sei sie die Herrin des Palasts und nicht Anchesenamun.
Die junge Königin saß auf ihrem Sessel, während ihr Meritamun mit großen Palmwedeln Luft zufächelte. Sie kam sich vor, als ginge sie dies alles nichts an.
Die Tische waren gedeckt, die Speisen zubereitet, der Raum mit Blumen geschmückt, die betörend dufteten. Musikerinnen standen im Hintergrund und sorgten für sanfte Harfenklänge.
»Geht es dir auch wirklich gut?«, erkundigte sich Selket immer wieder.
Anchesenamun nickte. Sie trug ein weißes Kleid aus fließendem Stoff, hauchdünn und aufwendig bestickt. Da ihr Milchfluss inzwischen versiegt war, hatte sie die lästige Brustbinde endlich weglassen können. Sie trug keine Perücke, sondern Selket hatte ihr am Abend zuvor unzählige Zöpfchen geflochten, die sie jetzt gelöst hatte. Ihr Haar lockte sich prachtvoll.
»Du siehst wunderschön aus, Anchi«, flüsterte Selket ihr zu.
Anchesenamun trug den goldenen Armreif, den ihr Tut geschenkt hatte. Sie war nun doch etwas aufgeregt. Wie würde das Wiedersehen mit dem Pharao verlaufen? Würden sie einander fremd sein? Und würde Tutanchamun ihr Vorwürfe machen, weil sie ihm keinen Sohn geboren hatte?
Endlich war es so weit. Tutanchamun war in der Stadt eingetroffen, und Bläser kündigten seinen Einzug in den Palast an. Im Raum wurde es ruhig. Draußen wurden Schritte hörbar. Tij wies die Diener an, die Flügeltür weit zu öffnen. Zuerst kamen ein paar festlich geschmückte Soldaten.
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