Dem Pharao versprochen
Sie blieben links und rechts vor dem Eingang stehen und bildeten ein Spalier.
»Der Pharao kommt!« – »Der Pharao kommt!«, flüsterte es von allen Seiten.
Anchesenamun erhob sich von ihrem Sessel und starrte unverwandt auf den Eingang.
Und dann stand Tutanchamun in der Tür. Er war prächtig gekleidet, seine Haut war vom langen Aufenthalt im Freien gebräunt. Er trug einen breiten Halsschmuck aus bunten Perlen, goldene Armreifen und mehrere Ringe. Sein Anblick war atemberaubend. Er sah aus wie ein junger Gott.
Anchesenamun hielt unwillkürlich die Luft an, als Tut den Raum betrat. Ihr fiel auf, dass er den Fuß nachzog, obwohl er sich nach Kräften bemühte, es zu verbergen.
Sie machte ein paar Schritte.
»Willkommen zu Hause, mein Gemahl!«
Er hinkte auf sie zu, blieb stehen und ergriff ihre beiden Hände.
»Meine Große Königliche Gemahlin! Wie froh bin ich, dich wiederzusehen! Du bist noch schöner, als ich dich in Erinnerung habe.«
Anchesenamun lächelte und merkte, wie ihre Lippen zitterten. Alle Augen im Raum waren auf das königliche Paar gerichtet.
Tutanchamun beugte sich vor und küsste sie leicht auf den Mund. Ein paar junge Dienerinnen klatschten begeistert Beifall, aber Tij warf ihnen vorwurfsvolle Blicke zu. Die Musikerinnen zupften wieder an ihren Harfen.
Anchesenamun führte Tutanchamun zum Tisch. Sofort liefen einige Diener herbei, um dem Paar die Stühle zurechtzurücken. Ein junger farbiger Diener brachte eine Schüssel mit Wasser und Tücher, damit sich der Pharao die Hände waschen konnte. Man fragte, ob er lieber Bier oder Wein wolle. Eine Dienerin trug ein goldenes Tablett mit erlesenen Früchten herbei. Eje war auf einmal im Raum und trat an den Tisch, um den Pharao nach seiner langen Abwesenheit zu begrüßen.
Tut fragte, was es Neues gebe, und sofort entwickelte sich ein langes Gespräch zwischen den beiden Männern.
Anchesenamun war enttäuscht. Sie hatte gehofft, mit Tut ein paar persönliche Worte wechseln zu können, aber die Regierungsgeschäfte schienen vorzugehen. Tut wollte alles wissen, was sich während seines Feldzugs ereignet hatte, und Eje redete und redete. Tut hörte aufmerksam zu, während er gleichzeitig zu essen begann. Anchesenamun fiel auf, wie schnell er seinen Becher leerte und sich gleich nachschenken ließ. Sein Gesicht rötete sich, er wirkte hektisch und zerfahren. Anchesenamun entdeckte eine lange Narbe auf seinem Oberarm. Dort hatte ihn wohl die Waffe eines Feindes getroffen.
»Ich kann dir auch die Listen bringen lassen«, bot Eje dem Pharao gerade an. »Darauf sind alle Bestände vermerkt, beispielsweise wie viel Getreide wir noch im Speicher haben, wie viele Pferde zur Zeit in deinen Ställen stehen, wie viele Soldaten sich in Waset aufhalten. Auch über die Ausgaben in den letzten Monaten wurde natürlich sorgfältig Buch geführt. Du weißt ja, dass du dich in dieser Hinsicht auf mich verlassen kannst. Alles ist genau dokumentiert.«
»Die Listen sehe ich mir nachher an«, sagte Tut und griff nach einer gebratenen Entenkeule, die gerade eine Dienerin gebracht hatte. Dann erinnerte er sich an Anchi und drehte sich zur Seite. »Warum isst du nichts, Anchesenamun? Ich sehe nur deinen leeren Teller. Du bist so dünn geworden! Hast du denn in den letzten Monaten ausreichend gegessen?« Er sah sie forschend an.
Anchesenamun schluckte. Sie spürte den Vorwurf in seinen Worten. Vielleicht dachte Tut, das Kind sei missgebildet, weil sie nicht ausreichend Nahrung zu sich genommen hatte.
»Es hat mir an nichts gefehlt«, versicherte sie. »Nur dich habe ich vermisst!« Sie setzte ihr schönstes Lächeln auf, aber der Pharao hatte sich schon wieder Eje zugewandt. Verärgert griff Anchesenamun nach ein paar Trauben und steckte sie geistesabwesend in den Mund. Das Wiedersehen hatte sie sich anders vorgestellt. Er war schließlich etliche Monate fort gewesen … Natürlich hatte sie Verständnis dafür, dass sich der Pharao um die Regierungsgeschäfte kümmern musste, aber hätte das nicht noch etwas Zeit gehabt?
Die Briefe, die er ihr geschrieben hatte, waren so liebevoll gewesen und voller Sehnsucht. Und jetzt gönnte er ihr kaum einen Blick! Waren seine Liebesschwüre nur leere Worte? Oder war er jetzt so enttäuscht von ihr, dass er sie behandelte wie eine Fremde?
»… in den nächsten Tagen einen Triumphzug durch Waset«, sagte Tut gerade zu Eje. »Das Volk soll meine Heimkehr feiern. Anchesenamun wird mich begleiten, sie wird neben mir auf
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