Dem Sieger eine Handvoll Erde
sehen, wo ich hinfuhr. Und ich kann immer noch nicht richtig sehen.«
»Ziehen Sie sich um!« Die kalte Grobheit von MacAlpines Stimme erschreckte die Zuhörer. »Ich bringe Sie ins Krankenhaus.«
Harlow zögerte, wollte etwas sagen, zuckte die Achseln, wandte sich ab und ging davon. Dunnet fragte leise: »Du bringst ihn doch wohl nicht zu dem Arzt, der die Rennfahrer betreut?«
»Ich bringe ihn zu einem Freund von mir. Er ist ein hervorragender Augenarzt, aber er kann auch noch eine Menge anderer Dinge. Alles, was ich von ihm will, ist eine kleine Gefälligkeit; eine Gefälligkeit, die ich hier von niemandem verlangen kann.«
»Eine Blutprobe?« fragte Dunnet leise, fast traurig.
»Nur eine positive Blutprobe.«
»Und damit wird das Schicksal des Superstars der Grand-Prix-Rennen dann besiegelt sein?«
»Sehr richtig.«
Für einen Mann, der guten Grund hatte, seine berufliche Karriere als beendet anzusehen, schien Harlow, der entspannt auf einem Stuhl in einem Flur des Krankenhauses saß, bemerkenswert gelassen. Er rauchte eine Zigarette, was für ihn höchst ungewöhnlich war, und die Hand, in der er die Zigarette hielt, war so ruhig, als sei sie aus Marmor gehauen. Nachdenklich blickte Harlow auf die Tür am Ende des Korridors.
Hinter der Tür schaute MacAlpine mit einer Mischung aus Unglauben und Verwirrung den älteren, bärtigen und Wohlwollen ausstrahlenden Arzt an, der ihm gegenüber hinter seinem Schreibtisch saß.
»Unmöglich!« sagte MacAlpine. »Das ist völlig unmöglich! Sie wollen mir wirklich erzählen, daß er überhaupt keinen Alkohol im Blut hat?«
»Unmöglich oder nicht, ich meine jedenfalls genau das, was ich sage. Er hat nicht mehr Alkohol im Blut als jemand, der sein Leben lang Abstinenzler gewesen ist.«
MacAlpine schüttelte den Kopf. »Unmöglich«, wiederholte er. »Hören Sie, Professor, ich habe Beweise …«
»Für uns alte Hasen ist nichts unmöglich. Die Geschwindigkeit, mit der manche Menschen Alkohol verarbeiten, variiert in unglaublichem Maße. Bei einem so durchtrainierten jungen Mann wie Ihrem Freund da draußen …«
»Aber seine Augen! Sie haben doch seine Augen gesehen! Glasig, blutunterlaufen …«
»Dafür könnte es ein halbes Dutzend Gründe geben.«
»Und die Sehstörungen?«
»Seine Augen erscheinen mir völlig normal. Wie gut er sieht, kann man jetzt noch nicht genau sagen. Es passiert häufig, daß die Augen selbst völlig in Ordnung sind, aber der Sehnerv verletzt ist.« Der Arzt stand auf. »Eine flüchtige Untersuchung reicht nicht aus. Ich muß eine ganze Reihe von Tests durchführen. Unglücklicherweise habe ich im Moment keine Zeit mehr dazu – ich komme jetzt schon zu spät ins Theater. Könnte er vielleicht heute abend gegen sieben herkommen?«
MacAlpine nickte, bedankte sich und ging. Als er auf Harlow zuging, schaute er die Zigarette an und dann die Hand, die sie hielt, dann wieder die Zigarette, aber er sagte kein Wort. Schweigend verließen die beiden Männer das Krankenhaus, stiegen in MacAlpines Aston und fuhren in Richtung Monza davon.
Schließlich brach Harlow das Schweigen. Er sagte sanft: »Da ich der Hauptbetroffene bin, fände ich es eigentlich ganz angebracht, wenn Sie mir erzählen würden, was Ihnen der Arzt gesagt hat.«
»Er ist sich nicht sicher«, sagte MacAlpine kurz. »Er möchte eine Reihe von Tests durchführen. Der erste findet heute abend um sieben statt.«
Immer noch im gleichen sanften Ton sagte Harlow: »Ich glaube kaum, daß das nötig sein wird.«
MacAlpine warf ihm einen kurzen nachdenklichen Blick zu. »Was soll das heißen?«
»Etwa einen halben Kilometer weiter ist ein Parkplatz. Bitte halten Sie dort. Ich möchte Ihnen etwas sagen.«
Um sieben Uhr abends, also zur gleichen Zeit, zu der Harlow im Krankenhaus hätte erscheinen sollen, saß Dunnet mit MacAlpine in dessen Zimmer. Die Stimmung der beiden wäre bei einem Begräbnis durchaus am Platze gewesen. Beide Männer hatten Gläser mit sehr viel Scotch in der Hand.
»Mein Gott!« sagte Dunnet. »Einfach so? Er sagte, seine Nerven machten nicht mehr mit, er wisse, daß er erledigt sei und den Vertrag lösen wolle?«
»Einfach so. Er sagte, wir wären jetzt lange genug wie die Katze um den heißen Brei gegangen. Der Betrug müsse ein Ende haben – vor allem sein Selbstbetrug. Es muß den armen Teufel eine ganze Menge Überwindung gekostet haben, das zu sagen.«
»Und was ist mit dem Scotch?«
MacAlpine nippte an seinem Drink und seufzte tief.
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